Das Lied von der Glocke

In den Zeiten der Katastrophe etwas zum Besinnen – und auch Tröstliches:

Anhören und lesen!

Das Lied von der Glocke

von Friedrich Schiller

Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.

 Fest gemauert in der Erden
 Steht die Form aus Lehm gebrannt.
 Heute muß die Glocke werden!
 Frisch, Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiß
 Rinnen muß der Schweiß,
 Soll das Werk den Meister loben;
 Doch der Segen kommt von oben.

 Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
 Wenn gute Reden sie begleiten,
 Dann fließt die Arbeit munter fort.
 So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
 Was durch die schwache Kraft entspringt;
Den schlechten Mann muss man verachten,
 Der nie bedacht, was er vollbringt.
 Das ist’s ja, was den Menschen zieret,
 Und dazu ward ihm der Verstand,
 Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.

 Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
 Doch recht trocken laßt es sein,
 Daß die eingepresste Flamme
 Schlage zu dem Schwalch hinein!
Kocht des Kupfers Brei!
 Schnell das Zinn herbei,
 Daß die zähe Glockenspeise
 Fließe nach der rechten Weise!

 Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hülfe baut,
 Hoch auf des Turmes Glockenstube,
 Da wird es von uns zeugen laut.
 Noch dauern wird’s in späten Tagen
 Und rühren vieler Menschen Ohr,
Und wird mit den Betrübten klagen
 Und stimmen zu der Andacht Chor.
 Was unten tief dem Erdensohne
 Das wechselnde Verhängnis bringt,
 Das schlägt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiter klingt.

 Weiße Blasen seh’ ich springen;
 Wohl! Die Massen sind im Fluß.
 Laßt’s mit Aschenfalz durchdringen,
 Das befördert schnell den Guss.
Auch vom Schaume rein
 Muß die Mischung sein,
 Daß vom reinlichen Metalle
 Rein und voll die Stimme schalle.

 Denn mit der Freude Feierklange
Begrüßt sie das geliebte Kind
 Auf seines Lebens erstem Gange,
 Den es in Schlafes Arm beginnt;
 Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
 Die schwarzen und die heitern Lose;
Der Mutterliebe zarte Sorgen
 Bewachen seinen goldnen Morgen –
 Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
 Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
 Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Durchmisst die Welt am Wanderstabe,
 Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus.
 Und herrlich in der Jugend Prangen,
 Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
 Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
 Da faßt ein namenloses Sehnen
 Des Jünglings Herz, er irrt allein,
 Aus seinen Augen brechen Tränen,
 Er flieht der Brüder wilden Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren
 Und ist von ihrem Gruß beglückt,
 Das Schönste sucht er auf den Fluren,
 Womit er seine Liebe schmückt.
 O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
 Das Auge sieht den Himmel offen,
 Es schwelgt das Herz in Seligkeit;
 O dass sie ewig grünen bleibe,
 Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
 Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
 Sehn wir’s überglast erscheinen,
 Wird’s zum Gusse zeitig sein,
 Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
 Ob das Spröde mit dem Weichen
 Sich vereint zum guten Zeichen.

 Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
 Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
 Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
 Ob sich das Herz zum Herzen findet!
 Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
 Lieblich in der Bräute Locken
Spielt der jungfräuliche Kranz,
 Wenn die hellen Kirchenglocken
 Laden zu des Festes Glanz.
 Ach! des Lebens schönste Feier
 Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
 Reißt der schöne Wahn entzwei
 Die Leidenschaft flieht,
 Die Liebe muß bleiben;
 Die Blume verblüht,
Die Frucht muß treiben.
 Der Mann muß hinaus
 Ins feindliche Leben,
 Muss wirken und streben
 Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
 Muss wetten und wagen,
 Das Glück zu erjagen.
 Da strömet herbei die unendliche Gabe,
 Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
 Und drinnen waltet
 Die züchtige Hausfrau,
 Die Mutter der Kinder,
 Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
 Und lehret die Mädchen
 Und wehret den Knaben,
 Und reget ohn’ Ende
 Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
 Mit ordnendem Sinn,
 Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
 Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
 Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,
 Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer
 Und ruhet nimmer.

 Und der Vater mit frohem Blick
 Von des Hauses weitschauendem Giebel
Überzählet sein blühend Glück.
 Siehet der Pfosten ragende Bäume
 Und der Scheunen gefüllte Räume,
 Und die Speicher, vom Segen gebogen,
 Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
 Fest, wie der Erde Grund,
 Gegen des Unglücks Macht
 Steht mir des Hauses Pracht!
 Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew’ger Bund zu flechten,
 Und das Unglück schreitet schnell.

 Wohl! nun kann der Guss beginnen,
 Schön gezacket ist der Bruch.
 Doch bevor wir’s lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
 Stoßt den Zapfen aus!
 Gott bewahr’ das Haus!
 Rauchend in des Henkels Bogen
 Schießt’s mit feuerbraunen Wogen.

Wohltätig ist des Feuers Macht,
 Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
 Und was er bildet, was er schafft,
 Das dankt er dieser Himmelskraft;
 Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
 Einhertritt auf der eignen Spur,
 Die freie Tochter der Natur.
 Wehe, wenn sie losgelassen,
 Wachsend ohne Widerstand,
Durch die volkbelebten Gassen
 Wälzt den ungeheuren Brand!
 Denn die Elemente hassen
 Das Gebild der Menschenhand.
 Aus der Wolke
Quillt der Segen,
 Strömt der Regen;
 Aus der Wolke, ohne Wahl,
 Zuckt der Strahl.
 Hört ihr’s wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
 Rot, wie Blut,
 Ist der Himmel;
 Das ist nicht des Tages Glut!
 Welch Getümmel
Straßen auf!
 Dampf wallt auf!
 Flackernd steigt die Feuersäule,
 Durch der Straße lange Zeile
 Wächst es fort mit Windeseile;
Kochend, wie aus Ofens Rachen,
 Glühn die Lüfte, Balken krachen,
 Pfosten stürzen, Fenster klirren,
 Kinder jammern, Mütter irren,
 Tiere wimmern
Unter Trümmern;
 Alles rennet, rettet, flüchtet,
 Taghell ist die Nacht gelichtet;
 Durch der Hände lange Kette
 Um die Wette
Fliegt der Eimer; hoch im Bogen
 Spritzen Quellen Wasserwogen.
 Heulend kommt der Sturm geflogen,
 Der die Flamme brausend sucht;
 Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie, in des Speichers Räume,
 In der Sparren dürre Bäume,
 Und als wollte sie im Wehen
 Mit sich fort der Erde Wucht
 Reißen in gewalt’ger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
 Riesengroß!
 Hoffnungslos
 Weicht der Mensch der Götterstärke,
 Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehn.

 Leergebrannt
 Ist die Stätte,
 Wilder Stürme rauhes Bette.
 In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
 Und des Himmels Wolken schauen
 Hoch hinein.

 Einen Blick
 Nach dem Grabe
Seiner Habe
 Sendet noch der Mensch zurück –
 Greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
 Was Feuers Wut ihm auch geraubt,
 Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Häupter seiner Lieben,
 Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

 In die Erd’ ist’s aufgenommen,
 Glücklich ist die Form gefüllt:
 Wird’s auch schön zu Tage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
 Wenn der Guss mißlang?
 Wenn die Form zersprang?
 Ach, vielleicht, indem wir hoffen,
 Hat uns Unheil schon getroffen.

Dem dunkeln Schoß der heil’gen Erde
 Vertrauen wir der Hände Tat,
 Vertraut der Sämann seine Saat,
 Und hofft, dass sie entkeimen werde
 Zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
 Wir trauernd in der Erde Schoß,
 Und hoffen, daß er aus den Särgen
 Erblühen soll zu schönerm Los.

 Von dem Dome,
Schwer und bang,
 Tönt die Glocke
 Grabgesang.
 Ernst begleiten ihre Trauerschläge
 Einen Wandrer auf dem letzten Wege.

Ach! die Gattin ist’s, die teure,
 Ach, es ist die treue Mutter,
 Die der schwarze Fürst der Schatten
 Wegführt aus dem Arm des Gatten,
 Aus der zarten Kinder Schaar,
Die sie blühend ihm gebar,
 Die sie an der treuen Brust
 Wachsen sah mit Mutterlust –
 Ach! des Hauses zarte Bande
 Sind gelöst auf immerdar;
Denn sie wohnt im Schattenlande,
 Die des Hauses Mutter war;
 Denn es fehlt ihr treues Walten,
 Ihre Sorge wacht nicht mehr;
 An verwaister Stätte schalten
265Wird die Fremde, liebeleer.

 Bis die Glocke sich verkühlet,
 Lasst die strenge Arbeit ruhn.
 Wie im Laub der Vogel spielet,
 Mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
 Ledig aller Pflicht,
 Hört der Bursch die Vesper schlagen;
 Meister muss sich immer plagen.

 Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
 Nach der lieben Heimathütte.
 Blökend ziehen heim die Schafe,
 Und der Rinder
 Breitgestirnte, glatte Scharen
Kommen brüllend,
 Die gewohnten Ställe füllend.
 Schwer herein
 Schwankt der Wagen
 Kornbeladen;
Bunt von Farben,
 Auf den Garben
 Liegt der Kranz,
 Und das junge Volk der Schnitter
 Fliegt zum Tanz.
Markt und Straße werden stiller,
 Um des Lichts gesell’ge Flamme
 Sammeln sich die Hausbewohner,
 Und das Stadttor schließt sich knarrend.
 Schwarz bedecket
Sich die Erde;
 Doch den sichern Bürger schrecket
 Nicht die Nacht,
 Die den Bösen gräßlich wecket;
 Denn das Auge des Gesetzes wacht.

Heil’ge Ordnung, segenreiche
 Himmelstochter, die das Gleiche
 Frei und leicht und freudig bindet,
 Die der Städte Bau gegründet,
 Die herein von den Gefilden
Rief den ungesell’gen Wilden,
 Eintrat in der Menschen Hütten,
 Sie gewöhnt zu sanften Sitten,
 Und das teuerste der Bande
 Wob, den Trieb zum Vaterlande!

Tausend fleiß’ge Hände regen,
 Helfen sich in munterm Bund,
 Und in feurigem Bewegen
 Werden alle Kräfte kund.
 Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heil’gem Schutz;
 Jeder freut sich seiner Stelle,
 Bietet dem Verächter Trutz.
 Arbeit ist des Bürgers Zierde,
 Segen ist der Mühe Preis;
Ehrt den König seine Würde,
 Ehret uns der Hände Fleiß.

 Holder Friede,
 Süße Eintracht,
 Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
 Möge nie der Tag erscheinen
 Wo des rauhen Krieges Horden
 Dieses stille Tal durchtoben;
 Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Röte
 Lieblich malt,
 Von der Dörfer, von der Städte
 Wildem Brande schrecklich strahlt!

 Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat’s erfüllt,
 Dass sich Herz und Auge weide
 An dem wohlgelungnen Bild.
 Schwingt den Hammer, schwingt,
 Bis der Mantel springt!
Wenn die Glock’ soll auferstehen,
 Muss die Form in Stücken gehen.

 Der Meister kann die Form zerbrechen
 Mit weiser Hand, zur rechten Zeit;
 Doch wehe, wenn im Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
 Blindwütend, mit des Donners Krachen,
 Zersprengt es das geborstne Haus,
 Und wie aus offnem Höllenrachen
 Speit es Verderben zündend aus.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
 Da kann sich kein Gebild gestalten;
 Wenn sich die Völker selbst befrein,
 Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

 Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
 Das Volk, zerreißend seine Kette,
 Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
 Da zerret an der Glocke Strängen
 Der Aufruhr, daß sie heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
 Die Losung anstimmt zur Gewalt.

 Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
 Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
 Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher.
 Da werden Weiber zu Hyänen
 Und treiben mit Entsetzen Scherz;
 Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
 Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
 Sich alle Bande frommer Scheu;
 Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
 Und alle Laster walten frei.
 Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
 Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
 Das ist der Mensch in seinem Wahn.
 Weh denen, die dem Ewigblinden
 Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden,
 Und äschert Städt’ und Länder ein.

 Freude hat mir Gott gegeben!
 Sehet! wie ein goldner Stern,
 Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
 Von dem Helm zum Kranz
 Spielt’s wie Sonnenglanz,
 Auch des Wappens nette Schilder
 Loben den erfahrnen Bilder.

Herein! Herein!
 Gesellen alle, schließt den Reihen,
 Daß wir die Glocke tausend weihen!
 Concordia soll ihr Name sein.
 Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sie die liebende Gemeine.

 Und dies sei fortan ihr Beruf,
 Wozu der Meister sie erschuf:
 Hoch überm niedern Erdenleben
 Soll sie im blauen Himmelszelt,
Die Nachbarin des Donners, schweben
 Und grenzen an die Sternenwelt,
 Soll eine Stimme sein von oben,
 Wie der Gestirne helle Schar,
 Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.
 Nur ewigen und ernsten Dingen
 Sei ihr metallner Mund geweiht,
 Und stündlich mit den schnellen Schwingen
 Berühr’ im Fluge sie die Zeit.
Dem Schicksal leihe sie die Zunge;
 Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
 Begleite sie mit ihrem Schwunge
 Des Lebens wechselvolles Spiel.
 Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr entschallt,
 So lehre sie, dass nichts bestehet,
 Daß alles Irdische verhallt.

 Jetzo mit der Kraft des Stranges
 Wiegt die Glock’ mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
 Steige, in die Himmelsluft!
 Ziehet, ziehet, hebt!
 Sie bewegt sich, schwebt.
 Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.

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