„Wortverkäufer“, „Schwätzer“, „Sohn des Lügengottes“! Bei solchen Beschimpfungen denkt man nicht unwillkürlich an Humanismus. Sie sind allerdings typisch für die humanistische Invektive des 15. Jahrhunderts. Diese abfälligen Schimpfworte musste sich der bekannteste Jurist seiner Zeit gefallen lassen, der Schweinfurter Humanist Dr. Gregor Heimburg (ca. 1400 – 1472). So beleidigt hatten ihn keine Geringeren als Papst Pius II und der Kardinal Nikolaus von Kues (Cusanus). Nun war Cusanus nicht irgendein Kurienprälat, sondern der Stellvertreter des Papstes, außerdem – nicht nur seiner eigenen Meinung nach – der bedeutendste Philosoph seiner Zeit. Heimburg gab dem Kardinal Cusanus mit gleicher Münze heraus und nannte ihn, natürlich schriftlich, „Lügensack“, „Esel“, „Überläufer der Jurisprudenz“ und „theologische Frühgeburt“. Papst Pius II sprach daraufhin die Verdammung über Heimburg aus und reihte ihn beim Gründonnerstagsfluch namentlich unter die großen Ketzer und Kirchenfeinde ein. Wie kam Gregor Heimburg, der Sohn eines Schweinfurter Bürgermeisters, zu dieser Ehre?
Unter die Ketzer und Kirchenfeinde war Heimburg durch seinen Beruf geraten. Im Streit um das Bistum Brixen zwischen Kardinal Nikolaus von Kues und Herzog Sigismund von Tirol um das Bistum Brixen appellierte Heimburg an ein künftiges Konzil – für den Herzog und gegen die Entscheidung des Papstes. Damit hatte Heimburg das Konzil über den Papst gestellt, – ein starkes Stück.
An die Großen dieser Welt war Heimburg bereits zu Beginn seiner Karriere herangekommen. Ein ‚Einser-Jurist‘ wie der in Padua frisch gebackene Doctor beider Rechte Gregor Heimburg ging schon damals in den diplomatischen Dienst. Der Doktor aus Schweinfurt war ein Senkrechtstarter. Er vertrat den Erzbischof von Mainz, dann Kaiser Sigismund und später die Kurfürsten auf dem Basler Konzil. Nach einem Urteil des Humanisten Enea Silvio Piccolomini, des späteren Papst Pius II, war Heimburg dort „einer der Dreien, deren Geist und Gelehrsamkeit Deutschland bewunderte.“ Zugute kam ihm dabei eine außergewöhnliche Redegabe, eine Mischung aus Wortgewalt, derber Deutlichkeit und gelehrter Latinität, wie sie bis zu Franz-Josef Strauß ihre Freunde hatte. Die Folge war, dass Heimburg seinen Namen und sein Wissen zu Höchstpreisen vermarkten konnte. Bei der freien Reichsstadt Nürnberg hatte er eine gut dotierte feste Anstellung mit einer mehr als großzügigen Nebentätigkeitsgenehmigung. Der Stadt Nürnberg schmeichelte es, wenn ihr Star-Jurist für Kaiser, Kurfürsten, für die Herzöge von Sachsen oder die bayerischen Herzöge tätig war. Beim Kongress von Mantua (1459) leitete er die deutsche Opposition gegen Kaiser und Papst. Hier trat er gegen die Finanzierungspläne und damit gegen den von Papst Pius II angestrebten Türkenkreuzzug auf. Unter den opponierenden Fürsten war auch Herzog Sigismund von Tirol, der Heimburg sofort für den Brixener Streit engagierte.
Beim Streit um Brixen ging es Kardinal Cusanus darum, Brixen als Fürstbistum und sich selbst damit zum Reichsfürsten zu erheben. Das schien für den Kirchenmann und Philosophen eine erstrebenswerte letzte Stufe auf der Karriereleiter. Herzog Sigismund machte sich über den Kardinal lustig und zwang ihn schließlich mit Waffengewalt, die Verwaltung des Bistums an das Domkapitel abzutreten und seine Hoheitsrechte ruhen zu lassen. Cusanus verließ Tirol als seelisch gebrochener Mann. Papst Pius bannte nun Sigismund und das ganze Land Tirol. Zu diesem Zeitpunkt trat der 60jährige Heimburg mit jugendlichem Schwung in Szene. Er erhob gegen den Bann das Rechtsmittel der Appellation an den Nachfolger des Papstes. Das war eine Frechheit. Ferner appellierte Heimburg an ein künftiges Konzil. Das war ein Politikum höchster Gefährlichkeitsstufe. Im Reich, aber auch in Frankreich und in anderen Ländern, gab es genügend Stimmen, die nur auf einen Anlass warteten, um aus Opposition gegen den Papst ein Konzil zu fordern.
Nun eskalierten nicht nur die gegenseitigen Beschimpfungen sondern auch die Maßnahmen. Der Papst zitierte Herzog Sigismund und das ganze Volk von Tirol (!) nach Rom. Heimburg versuchte, mit Hilfe des Erzbischofs von Main die kurfürstliche Opposition zu mobilisieren. Der Papst wiederum verhängte eine Handelssperre über Tirol. Jetzt vermittelte endlich jemand, nämlich Venedig, das seine Handelswege nach Norden bedroht sah. Es kam zu einer von beiden Seiten akzeptierten Lösung, deren Nachricht jedoch Pius II und Cusanus nicht mehr erreichte. Beide waren kurz zuvor binnen weniger Tage gestorben.
Der Verlierer war Heimburg. Er blieb als einziger gebannt. Herzog Sigismund ließ ihn fallen. Die Kurie sah in Heimburg den Hauptschuldigen an der Opposition gegen die Kirche, ja sogar mittelbar am Tod von Pius II und Cusanus. Diese Auffassung erschien den Zeitgenossen in der Folge verständlich, zumal Heimburg 1466 in den Dienst des utraquistisch-hussitischen und damit ketzerischen Böhmenkönigs Georg Podiebrad getreten war.
Zu dieser Zeit war bereits ein ‚Kreuzzug‘ gegen Podiebrad in Vorbereitung. Heimburg drohte erst einmal, die böhmischen Brüderrotten würden sich „wie einst die Goten über den Erdteil ergießen, nur nicht von Hunger getrieben wie jene, sondern von Kampfeslust und Rache.“ Dafür nahm Papst Paul II Heimburg in den Gründonnerstagsfluch des Jahres 1467 auf. In Böhmen traf Heimburg eine politische Fehlentscheidung, er suchte das Bündnis mit Podiebrads Schwiegersohn, dem Ungarnkönig Matthias ‚Corvinus‘ Hunyadi. Hunyadi reagierte nicht darauf, vernichtete vielmehr die Brüderrotten, marschierte in Böhmen ein, ließ sich von böhmischen Baronen zum König ausrufen und eröffnete den allgemeinen Kreuzzug gegen Podiebrad.
Als militärischer Berater Podiebrads war der vielseitige Heimburg erfolgreicher. 1469 wurde Hunyadis Heer geschlagen. Damit war auch der ‚Kreuzzug‘ zu Ende. Heimburg konnte sich am Sieg nicht lange freuen, denn Podiebrad starb überraschend. Heimburg versuchte, einen der sächsischen Herzöge auf den böhmischen Thron zu bringen. Nachfolger Podiebrads wurde aber ein Polenprinz, der Heimburg sofort des Landes verwies. Heimburg ließ sein Schloss in Böhmen zurück, ging nach Sachsen und verbrachte dort die letzten Jahre seines Lebens.
Heimburg war kein ‚furchtbarer Jurist‘, der Todesurteile verhängt oder begründet hätte. Für solche Geschäfte bediente sich die Staatsgewalt zu allen Zeiten der dritten und vierten Garnitur unter den Rechtskundigen. Heimburgs Bedeutung als Jurist lag darin, dass er als einer der ersten die Rezeption des römischen Rechts konsequent in den Dienst der aufstrebenden Landeshoheit gestellt hatte, gegen Kaiser und Reich. Dies widersprach zwar der damaligen Rechtstheorie, war aber die Praxis der nächsten Jahrhunderte. (Das Heilige Römische Reich schien Heimburg gar nicht als Staat anerkannt zu haben. Für ihn lag die Staatsgewalt bei den Landesherren.)
In vielen rechtshistorischen Werken der Gegenwart wird Heimburg verschwiegen, wohl weil er ein sogenannter ‚Praktiker‘ war. (Derzeit genieß ein Jurist nur hochwissenschaftlichen Ruhm und historische Relevanz, wenn er sich – fern der Praxis – möglichst theoretisch zu brennenden aktuellen Fragen der reinen Rechtswissenschaft auslässt, heute zum Beispiel zur Problematik des Schwangerschaftsabbruchs bei Aids-kranken Leihmüttern.) Hätte Heimburg für seinen Arbeitgeber, die Reichsstadt Nürnberg, interne Rechtsvorschriften gebastelt, so würde er bei Rechtshistorikern Gnade finden. Für solche Tätigkeiten setzte die Reichsstadt aber halbgebildete Experimentaljuristen ein, die Stadtschreiber, und nicht ihren teuren Star-Juristen Doctor Heimburg.
Der Vaterstadt Schweinfurt erwies Heimburg hie und da Gefälligkeiten. Für das heimatliche Hochstift Würzburg hat Heimburg sehr viel mehr getan, es 1441 vor dem Untergang bewahrt. Das Domkapitel wollte das Hochstift wegen Überschuldung an den Deutschen Orden verkaufen. Heimburg intervenierte im Auftrag des Mainzer Kurfürsten und Erzbischofs. Diesem konnte nicht daran gelegen sein, als Nachbarn im Herzen Deutschlands einen strammen Ordensstaat zu haben. In der Folge half Heimburg dem Würzburger Bischof immer wieder. Er half sogar mit Geld, d.h. mit enormen Bardarlehen aus seinem eigenen – enormen – Vermögen. Als Gebannter vertraute Heimburg auf die Dankbarkeit des Hochstifts und legte einen großen Teil seines Gelds in Würzburg an. Umso größer war die Enttäuschung, als Bischof Rudolf von Scherenberg – anders als sein Vorgänger – dem Drängen aus Rom nachgab und die Güter Heimburgs konfiszierte.
Heimburg war kein Ketzer aus Überzeugung. Seine Opposition gegen Rom war rein ‚geschäftlicher‘ Natur. Dies und der Wunsch, seine konfiszierten Güter in Würzburg freizubekommen, erklären es, dass er am Ende seines Lebens die Aussöhnung mit der Kurie suchte. Papst Sixtus IV zeigte sich der Vermittlung der sächsischen Herzöge gegenüber offen. Der kluge Papst rechnete damit, dass der allzu berühmte Dr. Heimburg, erst einmal vom Bann frei gesprochen, schnell vergessen wäre. Die Rechnung ging auf. Selbst in Heimburgs Vaterstadt erinnert nur ein schäbiges Sträßchen mit ein paar Häusern auf jeder Seite an seinen Familiennamen.
Im März 1472 löste der Bischof von Meißen Heimburg in Dresden vom Bann. Die Anwesenheit der Herzöge Albrecht und Ernst schenkte Heimburg noch einmal die Illusion einer Bedeutung, die er mit diesem Akt verlor. Fünf Monate später, im August 1472, starb Heimburg in Wehlen an der Elbe. Die Beisetzung erfolgte in der Dresdner Heilig-Kreuz-Kirche. Sein Verwandter, der ‚Erzhumanist‘ Konrad Celtis, verfasste die Grabschrift. Der Familie hinterließ Heimburg ein immer noch beachtliches Vermögen. Der Sohn Jakob Heimburg erlangte in der Folge sogar einen Teil der konfiszierten Güter wieder. Wohl auf den letzten und weitblickenden Rat seines Vaters hin verließ Jakob Heimburg jedoch das treulose Würzburg und siedelte sich in dem aufstrebenden kurfürstlichen Staat Brandenburg an.
J.H.
Nicolas Gomez Davila:
Der Reaktionär strebt nicht die vergebliche Wiederherstellung der Vergangenheit an, sondern den unwahrscheinlichen Bruch der Zukunft mit dieser schäbigen Gegenwart.
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