Pathos und Schwulst

Der (An-) Führer Björn Höcke

„Es rutscht etwas durch, das Alte und Morsche zerfällt vor unseren Augen. Der Mantel der Geschichte weht an uns vorbei. Ergreifen wir ihn. Halten wir ihn fest. Und lassen wir ihn nicht mehr los. Bis die Zukunft unserer Heimat, bis die Zukunft unseres Volkes, bis die Zukunft unserer Nation, bis die Zukunft unseres geliebten deutschen Vaterlandes gesichert ist. Ich danke Euch!“

Geht es nicht etwas kleiner, möchte man fragen, wenn man diese pathetisch aufgeblasenen Sätze des „Flügel“-Führers der AfD Björn Höcke hört.
Man kann sich dies und anderes in diesem Filmchen mit dem Titel „Der Mensch Björn Höcke“ anhören.

Es fehlte nachgerade nur, dass Höcke sich wie einst schon ein „großer“ Führer auch gar auf die „Vorsehung“ berufen würde.
Wie sagte jener einstmals: „Dass die Vorsehung mich bestimmt hat, diese Handlung zu vollziehen, empfinde ich als die größte Gnade meines Lebens.“

Das Wort „Führer“ erscheint schon mal auf den Lippen seiner Anhänger, wenngleich noch mit der Vorsilbe in „Anführer“ abgemildert.
Der Mann will nicht nur „den Mantel der Geschichte“ ergreifen, er verspricht: „Wir werden Geschichte in Deutschland gestalten!“
Dann läßt er sich feiern und spricht zwar nicht von Gnade, kommt dem aber schon nahe, wenn er huldvoll in „Demut sein Haupt neigt“.
Originalton Höcke:

„Wenn ihr mich feiert, dafür danke ich …. dann ist mir das nicht unangenehm, denn ich verspür die Leidenschaft … eure Leidenschaft … und vor der neig ich in Demut mein Haupt.“

In dem Filmchen – wer immer das produziert hat, ein offizieller AfD-Trailer ist dies gewiss nicht – wird ein schon peinlich anmutender Personenkult betrieben, wie man ihn vergleichbar bei anderen Politikern in der Geschichte Bundesrepublik noch nicht erlebt hat.
Höcke mutet für seine Claqueure offenbar wie ein Heilsbringer an und so würde man sich nicht wundern, wenn ihm von seinen Gefolgsleuten nicht bald auch ein vielstimmiges „Heil“ entgegentönt.
In dem Filmchen fehlten zu einigen Passagen nur noch etwas wabernd-elegische oder vielleicht auch heroisch aufgesetzte Wagnerklänge: ich denke da an „Morgendämmerung und Siegfrieds Rheinfahrt“ aus der Götterdämmerung WWV 86D.
(Einschub: Nichts gegen Wagner, ich freue mich schon auf die Meistersinger am 27. Juli in Bayreuth!)

Höcke bei der Ordensverleihung an einen verdienten Kämpfer

Der AfD-Vize Kay Gottschalk über das jüngste „Kyffhäuser-Treffen“ des Höcke-“Flügels“:

„Es erinnerte mit seinem grotesk überzogenen Pathos an eine peinliche Schmonzette aus der Kaiserzeit.“

Höcke hat anfang des Jahres ein Buch über sich herausgeben lassen, in dem er sich mittels eines 300-seitigen Interviews über seine Welt- und Innensicht auslässt*.
Dieter Stein von der Jungen Freiheit hat das Werk zum Anlass genommen, unseren „Jung-Siegfried“ Höcke unter dem Titel „Bescheidener Weltenlenker“ zurechtzustutzen. Zu Recht, muss man sagen, wenn man das Buch gelesen hat. Was aber bei Teilen der „rechten Szene“ nicht so gut ankam.

Sieht man Björn Höcke mit seiner Gestik, Mimik und Körpersprache in der Öffentlichkeit, wenn er mit seinen stechenden blauen Augen starrt, kommt mir unwillkürlich dieser Satz von Paul Celan aus seiner bedrückenden „Todesfuge“ in den Sinn:
„sein Auge ist blau – er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau…“.
Das mag jetzt starker Tobak oder weit hergeholt sein. Aber Politiker wollen doch durch ihre Erscheinung und ihr „Charisma“ beeindrucken und Emotionen erzeugen. Und das ist bei Höcke unstreitig spürbar. Und so muss er auch mal mit urgenten Gegen-Empfindungen rechnen.

In der alten Bundesrepublik aufgewachsen, die Folgen der Politik eines „ruhmreichen Führers“ in der Familie am eigenen Leib erfahren, die Trümmer unser Zivilisation und  Kultur, unserer Städte, als Folge des Größenwahns vor Augen, bin ich mehr als nur allergisch gegen jeden überhöhenden Personenkult und politisches Pathos, gegen dieses eitle „Sich-feiern-lassen“ und frenetische Empor-heben durch ein verführtes Publikum.
Ich erinnere mich fast mit Schaudern an den Auftritt eines damals von mir geschätzten Politikers, der gleichwohl von Manchem wie ein Messias gefeiert wurde: Willy Brandt. Sein Pathos und das enthusiastische Ausrasten seines Publikums mit fast 10.000 Teilnehmern bei einem Wahlkampfauftritt 1972 in Rothenburg verursachte mir fast körperliche Pein und ich musste den Versammlungsort verlassen. Obschon Anhänger von Brandt damals, hat dieses Erlebnis Unwohlsein und auch Zweifel in mir aufkommen lassen, mich in meiner angeeigneten Vorsicht nachhaltend bestärkt.
Beim Beobachten der als Huldigungsveranstaltungen inszenierten Parteitage unserer „demokratischen“ Parteien, hierzulande oder auch in den USA, im Fernsehen, kommt bei mir ein Gefühl der Aversion auf und ich muss abschalten.
Ich kann da nicht aus meiner Haut.
Und so sind mir Leute wie Höcke mit ihren Allüren und ihrer törichten Gefolgschaft auch mehr als nur suspekt.
Die AfD muss wissen, ob sie Höcke und seine Entourage auf ihrem weiteren Weg ertragen kann. Manchmal hat man das Gefühl, der Mann wurde als Agent Provokateur der AfD implantiert und er scheint seinen Zweck zu erfüllen, die Partei in die Selbstzerstörung zu führen.

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*Björn Höcke / Sebastian Hennig: Nie zweimal in denselben Fluß. Björn Höcke im Gespräch, Manuscriptum 2018. 

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Eine Antwort zu Pathos und Schwulst

  1. Achim de Jong sagt:

    Artgerechte Tierhaltung, wird nicht dauernd artgerechte Tierhaltung gefordert. Nun, es gibt auch artgerechte Menschenhaltung oder sagen wir besser, Umstände, welche das Wesen des Menschen beachten.
    Man muss Höcke nicht mögen, aber Höcke bedient offensichtlich ein Bedürfnis, sonst fände er kein Publikum. Höcke bietet was fürs Gemüt. Habeck bietet was fürs Gemüt, das Gemüt einer anderen Zielgruppe.
    Der röhrende Hirsch der Rot-Grünen ist der singende Wal. Beides ist Kitsch, aber beides findet Kundschaft.
    Die Anhänglichkeit der Kommunisten an ihre Partei war und ist nicht weniger sentimental, als die Nationalromantik eines Herrn Höcke.
    Großgemeinschaften wie Völker und Nationen brauchen heilige Feuer, geteilte Emotionen, ein starkes verbindendes Element, sonst fallen sie auseinander.
    Die BRD hat zu wenig heilige Feuer und hat deswegen den Zusammenhalt eines trockenen Sandhaufens.

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