St. Martin

Eine fast ketzerische Reminiszenz

Da wird mich jetzt mancher als schäbig bezeichnen, wenn er das Folgende liest. Wenn ich unseren höchsten November-Heiligen, St. Martin, mal aus seiner legendenhaften Verklärung herauslöse.

Ja, für mich ist der St.-Martins-Tag schon was Besonderes. Was kann man gegen einen wärmenden, gemeinsamen Lichterzug mit Laternen schon in düsterer „Winterstimmung“ haben, „leuchtende Kinderaugen“, und damit auch erste Einstimmung auf Advent und Weihnachten. Das will ich meinen kleinen Enkeln lieber „zumuten“ als vielleicht Halloween.

In meiner fränkischen Heimat – überwiegend protestantisch geprägt – gehörte der „Pelzer-Märtel“ unbedingt in den Jahreskreis.
Kein Feiertag – aber für Kinder schon was Spezielles.
Ich erinnere mich aber nicht an so aufgemotztes „Rabimmel-Rabammel-Getue“ wie es manche Gemeinden mit ihren „Kitas“ und „Krippen“ aufgebaut haben – ohne Kirchenbesuch und -bezug.
Und es gab noch nicht diese anbiedernde „Toleranz“, mit der man heute – nicht mehr in christlichem Gedenken – St.-Martins-Zug sagen soll, sondern Lichter- oder Laternenzug, um Anders- oder Nicht-Gläubige nicht zu „diskriminieren“ oder gar zu kränken.
St. Martin war einer der „wildesten Heidenbekämpfer“ in der christlichen Geschichte. Eine Tatsache, welche diese „Toleranten“ wahrscheinlich gar nicht kennen.

Aber dazu später mehr …

Die St.-Martins-Bräuche und das Gedenken gehören zu unserem christlich-abendländischen Erbe – und Kultur. Auch wenn man es im Alter nur noch mit dem für Gourmands unverzichtbaren Martins-Gans-Braten begehen mag – oder keine Enkel oder Kinder hat.

In der „hagiographischen Überlieferung“ schreibt Martins Biograph, Sulpicius Severus, der ihn persönlich kannte, ihm Wundertätigkeit zu.

„ … Beispielsweise Totenerweckungen, die Martin bewirkte, indem er sich über einen Verstorbenen legte und betete. Eine weitere Überlieferung besagt, dass Martin im Jahr 371 in der Stadt Tours von den Einwohnern zum Bischof ernannt werden sollte. Martin, der sich des Amtes unwürdig empfand, habe sich in einem Gänsestall versteckt. Die aufgeregt schnatternden Gänse verrieten aber seine Anwesenheit, und er musste das Bischofsamt annehmen. Davon leite sich auch der Brauch ab, am Fest des Heiligen eine Martinsgans zuzubereiten.
Die Legende der Martinsmesse, die beispielsweise im Klarenaltar des Kölner Doms dargestellt ist, besagt, dass Martin, nachdem er seinen Rock einem Armen gab und der für ihn auf dem Markt neu gekaufte zu kurze Ärmel hatte, von Engeln während der Messe prächtig gekleidet wurde und ein Lichtstrahl vom Himmel auf ihn herabkam.“

Aus dem mit dem „Lichtstrahl“ leitet sich wohl der Martins-Lichterkult im einsetzenden Winter ab.

In diesem fromm angehauchten Heiligenlexikon „Heilige und Namenspatrone im Jahreslauf“, findet man zu Martin folgenden Eintrag:

11. November

Martin von Tours
Bischof

Geboren: um 316 in Sabaria, heute Steinamanger, Ungarn
gestorben: 8. November 397 in Candes bei Tours, Frankreich
Patron der Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Mainz; des Burgenlandes; des Kantons Schwyz; der Soldaten, Kavalleristen und Reiter; der Pferde und Hufschmiede; der Waffenschmiede, Weber, Gerber, Schneider, Gürtelmacher, Handschuhmacher, Hutmacher, Ausrufer, Hoteliers, Müller, Bürstenbinder, Böttcher, Winzer, Hirten und Gastwirte; der Reisenden; der Armen und Bettler; der Gefangenen; der Abstinenzler; der Haustiere und Gänse; gegen Ausschlag, Schlangenbiß und Rotlauf; für das Gedeihen auf den Feldern

Und dann in schwülstig „seelenvoller“ Manier folgender Satz:

„Wer einmal die leuchtenden Augen der Kinder gesehen hat, die an einem Martinsumzug teilnehmen, wer erlebte, mit welcher Freude die Kleinen zuvor die bunten Lampions bastelten und der Geschichte des Martin lauschten, der spürt, daß dieser Heilige ein ganz besonderer Freund der Kinder sein muß …“

„Besonderer Freund der Kinder“?

Wie hat er das bewiesen?
Nicht mal aus den Legenden kann man das herauslesen.

Bleibt noch die Geschichte mit dem Bettler, mit dem er angeblich seinen Mantel teilte.

Martin von Tours – der „Heilige“ war bestimmt kein Heiliger, wenn es um die Bekämpfung und Ausrottung der „Heiden“ ging.

Lassen wir dazu einen Historiker und Kirchenkritiker zu Wort kommen.
Karl-Heinz Deschner führt in seiner „Kriminalgeschichte des Christentums“ (Band 4 – Frühmittelalter) zu „St. Martin“ aus:

Einer der wildesten Heidenbekämpfer im Westen wurde Martin von Tours (gest. 397). Trotz heftigen Widerstands manchmal der Bauern riß er mit Hilfe seiner Trabanten, einer Mönchshorde, die Tempel nieder, stürzte Druidensteine, oft erbittert verteidigte heilige Eichen. «Mit den Füßen zertrat er die Altäre und die Götterbilder» (Sulpicius Severus). Und dabei war der Heilige «ein Mann von bewunderungswürdiger Sanftheit und Geduld; freundlichernste Heiterkeit und unwandelbarer Friede leuchtete aus seinen Augen . . .» (Walterscheid, mit Imprimatur).
Zur Vernichtung des Paganismus brachte der Glaubensheld freilich beste Voraussetzungen mit. Hatte er doch eine Laufbahn als Haudegen im römischen Heer (Kaiser Julians) beendet, seine christliche als Teufelsaustreiber begonnen. Bezeichnend, daß er den Teufel in Gestalt Jupiters, Merkurs, auch der Venus und Minerva zu sehen glaubte, war er ja überhaupt der festen Überzeugung, in den «Götzenbildern» stecke Satan.
Infolge seiner «Totenerweckungen» wurde Martin Bischof, dann merowingischer Königs-, dann karolingischer Reichsheiliger, schließlich Schutzpatron der Franzosen; 425 Dörfer Frankreichs tragen noch heute seinen Namen. Den Namen eines Brandstifters, Diebes, der noch mit den Füßen der Heiden Heiligstes ruinierte, auch sämtliche Tempel niederriß – das «Symbol der fränkischen Reichskirche», mehr noch: «wesentlicher Bestandteil fränkischer Reichskultur» (Bosl).
Seinen internationalen Ruhm verdankte der Vielbewunderte dem Mörderkönig Chlodwig, der Martin sehr verehrte; seinetwegen auch einen eigenen Soldaten erschlug, der im Gebiet des Gottesmannes etwas Heu genommen: «Wo bleiben unsere Siegesaussichten, wenn wir den heiligen Martin beleidigen?» Die Me- rowingerfürsten führten als hl. Reliquie den legendären Mantel (capa) dieses Menschen auf ihren Kriegszügen mit. Eide wurden darüber geleistet und Verträge geschlossen. Der Aufbewahrungsort hieß Capella, der dafür verantwortliche Geistliche Capellanus: Ursprung unserer Wörter Kapelle und Kaplan. Und weil Martin überall, wo er heidnische Kultstätten vernichtet hatte, auf den Trümmern sogleich christliche bauen ließ, darunter das erste gallische Kloster (Liguge), wurde er auch noch «Bahnbrecher des abendländischen Mönchtums» (Viller/Rahner).

Da werde ich jetzt sicher Protest hören von den Fromm-Gebliebenen, den manchen Unkritisch-Kirchengläubigen – besonders papistisch, aber auch „protestantisch“.
Denn Deschner ist für diese durch seine profunde, nicht widerlegbare Kritik, der atheistische „Oberteufel“ schlechthin.

Wie ich schon sagte, bin ich bei meinen Enkeln – sieben katholisch, zwei evangelisch getauft – wenn „Rabimmel – Rabammel“ angesagt ist.
Aber es wird auch für sie die Zeit kommen (wenn ich sie denn noch persönlich erleben werde), wo auch für sie so manches „Heilige“ in der Betracchtung gestürzt werden wird. Wie Martin von Tours Heidnisches stürzte und derart Bilder von ihren Sockeln holte.

Vielleicht bräuchte es dann aber wieder mal so eine Gestalt für unser Abendland.

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