Bach

Michael Klonovsky , ein großer Verehrer von Johann Sebastian Bach schildert in einer Werkbesprechung der Matthäus-Passion die Begebenheit, als er einmal nachts in Berlin in einem Taxi fuhr und eben die Matthäus-Passion in einer Aufnahme von Karl Richter im Radio gesendet wurde. Am Hotel angekommen, stellte der Fahrer – er vermutet ein Student – den Motor ab, und man hörte sich zusammen das gesamte Werk schweigend bis zum Schluss an.
Als ich das erste Mal die Matthäus-Passion , ich war 15 Jahre alt, im Radio hörte, wußte ich auf einmal nicht mehr, wie mir geschah. Ich konnte mich nicht mehr fort bewegen, ich war quasi paralysiert und mein Geist, meine noch so pubertäre Verstandeskraft erfuhr etwas, das ich nicht erklären konnte.
Ich saß erschüttert, schweigend bis zum Schluß – wie Michael K. und der Taxifahrer.

Heute weiß ich, es war das, was man glorios als „Katharsis“ bezeichnen könnte: die Erweckung und Errettung aus dem kleingeistig Alltäglichen, das einen bis zum Augenblick bewegt hatte. Die Bewußtwerdung des Universums, das durch Musik tönt – erfühlt durch die Musik Bachs.

Ist es hochfliegend,  das so zu umschreiben?
Glauben Sie mir, ich bin da auf einmal reifer geworden.

Vom ersten selbstverdienten Geld aus Ferienarbeit leistete ich mir einen Plattenspieler, der zur Wiedergabe der Musik an ein Radio angeschlossen werden mußte. Für den Erwerb einer Schallplatten-Gesamtaufnahme der Matthäus-Passion oder anderer Gesamteinspielungen von Bach-Werken reichte das Geld lange nicht aus. Aber wie stolz war ich, als ich als „Schnäppchen“ die Brandenburigschen Konzerte gespielt von den „I Musici“ erwerben konnte; dann Orgelwerke, gespielt von Michael Schneider an der Dom-Orgel von Lübeck; und das „Wohltemperierte Klavier“. In allen freien Stunden saß ich  am Radio, um den Kosmos des J.S. Bach zu erspüren und zu hören.

Wieder Michael Klonovsky:
„Ich habe gegen die Musik Bachs gelegentlich den Einwand gehört, sie sei zu mathematisch, und ich weiß nicht, ob ich mich über die Geringschätzung der Mathematik, die aus solchen Worten spricht, mehr wundern soll, oder über die schiere Unkenntnis, was die geschwisterliche Verbindung beider Sphären betrifft. Und das zweieinhalbtausend Jahre nach Pythagoras! Wenn es denn stimmt, dass die Schöpfung (bzw. das Universum) „klingt“, dann ist Bach ihr bedeutendstes Organ.“

Wenn meine Lehrer am Gymnasium etwas an Positiven von mir gegenüber meinen nachfragenden Eltern zu vermelden hatten, waren es ein Potenzial für Mathematik, Physik und nebenbei für Musik.

Die Auflösung einer Bachschen Fuge, die komplexe Fragestellung des „Musikalischen Opfers“ zu durchdringen, war für mich – zunächst unerklärbar – plötzlich komparabel gewesen mit der Beschäftigung und Lösung eines mathematischen Problems; nebst dem Eindringen in die Physik unter der anmaßenden Suche nach einer „Weltformel“.  Das Glücksgefühl indessen, das man bei der Auflösung einer Bachschen Fuge empfindet, ist unvergleichlich. Die Fuge endet, aber ist doch nicht voll-endet, da man soeben meint, in Unendliches vorgedrungen zu sein. 

Wenn man glaubt, mit Gott tatsächlich kommunizieren zu können, dann mit der Bachschen Musik!

Womit ist der Schmerz über den Tod des Gottessohnes gewaltiger zu begreifen als durch die Passionen von J.S. Bach. Womit können wir uns besser aus den Wirrnissen des Alltags zurückziehen, entspannen und mit dem Kosmos in Einklang kommen, als mit dem „Wohltemperierten Klavier“ oder den „Goldberg-Variationen“.
Es gibt Komponisten, die dem Gefühl der Lebensfreude in deutlicherer und ungestümer Weise Ausdruck geben können, als Bach. Aber es gibt keine Musik, die uns hoffnungsfroher auf Gegenwart und das Kommende einstimmen kann. Denn „solange irgendwo auf einem Klavier Bach gespielt wird, …ist nichts verloren.“

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