Remake: Bröckelnde Gebets-Abschussrampen

Im Nachgang zu meinem Beitrag über Roger Scruton ein früherers „Machwerk“ von mir über moderne Architektur, hier speziell über Kirchenarchitektur in der „Moderne“.

Eine Zeitungsmeldung, die offensichtlich keine große Aufregung in unserer  Nachbargemeinde hervorrief:

Pfarrer befürwortet Abriss und Neubau der Kirche

Ich bin oft genug an dieser Kirche vorbeigefahren, wollte sie als Katholik auch nur aus der Ferne betrachten, und erlaube mir zu sagen: Ein ästhetischer Verlust wäre das Verschwinden dieses Beton-Monsters, dieser „Gebets-Abschussrampe“, nicht.
Zeitgleich fiel mir mit der neuesten Ausgabe von „Monumente“, dem Magazin der „Deutschen Stiftung Denkmalschutz“ – gern von mir mit Spenden unterstützt – ein Artikel über „denkmalwürdige Sakralbauten aus der Nachkriegsmoderne“ in die Hände.

Unter dem Titel „Liturgie formt Räume“, kann man da u.a. Folgendes lesen:

Sie verkörpern den Geist des Aufbruchs, überwinden jahrhundertealte Strukturen. Noch heute wirken ihre schlichten Räume und Baumaterialien radikal. Die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil errichteten Kirchen vereinigen zeitgenössische ästhetische Vorstellungen mit bahnbrechenden theologischen Neuerungen…

Das Zweite Vatikanische Konzil war ein epochales Ereignis …
Einem Paukenschlag kam ihre 1963 verabschiedete Liturgiekonstitution (Sacrosanctum Concilium 7) gleich, die Neuerungen in einem nie dagewesenen Ausmaß formulierte. Von den Gläubigen, die bisher den Handlungen der Priester nur als Zuschauer andächtig beiwohnten, forderte das Konzil, aktiv und gemeinschaftlich an der Messe teilzunehmen: Christus sei nicht mehr nur in den geweihten Gaben und im Priester gegenwärtig, sondern auch in der versammelten Gemeinde.
Forderungen an die Kirchenarchitektur stellte die Liturgiekonstitution nicht. Sie verlangte lediglich, dass die Gebäude „für die Durchführung der liturgischen Feier und für die Verwirklichung der tätigen Teilnahme der Gläubigen geeignet sind. Es waren vielmehr das mit überkommenen Anschauungen brechende, neu aufblühende Selbstverständnis und die veränderte Vorstellung von einem idealen Gottesdienst, die den Sakralbau seither grundlegend wandelten.
Durch die Beschlüsse des Zweiten Vatikanums rückte die Gemeinde buchstäblich an den Altarraum heran. Die Zeiten, in denen der Priester wie auf einer Bühne mit dem Rücken zu den Gläubigen stand, waren vorbei…

Das alles bedeutet uns Frau Julia Ricker in „Monumente“.

Man konnte es bald beobachten: der (katholische) Priester erschien nicht mehr auf der Empore, wenn er zur Gemeinde sprach, er brauchte sich nicht mehr der Mühe unterwerfen, den Hochaltar zu erklimmen, um sich in die Versenkung der Konsekration zu begeben. Die Kommunionbänke für das Volk zum Niederknien wurden abgerissen. Stattdessen stellt man jetzt eine Art Anrichte im Bauhaus-Stil („Altar“ halte ich in diesen Fällen für eine frevelhafte Kennzeichnung) vor den romanischen, gotischen, oder barocken Hochaltar, wo der Priester jetzt vor den scharfen Augen der Gemeinde – ohne die Mühe, bei Lesung und Verkündigungen an dieselbe sich erst umwenden zu müssen – die Liturgie „zelebrieren“ konnte.

Einem, der sich zum Altmodischen bekennt, mochte das schon von Anfang an nicht recht gefallen, und auch noch ahnungslos, dass man einmal Vorwürfen ausgeliefert sein könnte, doch nur einem behelfsmäßigen Ästhetizismus zu unterliegen; da man dem Gefühl eines drohenden Verlustes folgte – einem Vorgefühl, einer Art neuer Unbehaustheit ausgeliefert zu werden.
In Deutschland – mein Eindruck – fielen die „radikalen“ und „bahnbrechenden“ Veränderungen besonders drastisch aus. Denn man ist ja anfällig auf diesem Gebiet: ist Deutschland doch „ein Land mit langer militanter Vorherrschaft protestantischer Kultur, und die kulturelle Prägung hinterlässt mindestens ebenso starke Spuren, wie die religiöse“ (Martin Mosebach*).

Da durften jetzt „Jazz-Messen“ zelebriert werden, Klampfen-Gruppen ersetzten die Orgel oder den Cantus choralis, das Latein konnte nicht mehr die Gläubigen samt Pfarrer verunsichern.
„Die mächtige Architektur aus Sprache, Musik und Gebärden“ wurde zerstört – und dem folgte die Baukunst.

Es waren die Zeiten, als Rosstäuscher wie Beuys etc. „kunstprägend“ werden konnten.

Martin Mosebach* sagt dazu:

„Aus (dem) denkerischen Aufstand gegen das Offensichtliche ist die Grundstimmung unseres Zeitalters geboren worden: ein die ganze Öffentlichkeit erfüllendes Mißtrauen gegen jede Art von Schönheit und Vollkommenheit. Etwas sei »nur schön« – das ist heute die Schärfstmögliche Verurteilung. In der Kunst wird das Unfertige, das Fragmentarische, das Zerbrochene begünstigt. Die Beherrschung handwerklicher Regeln und Fähigkeiten, die zum Gebrauch einer vollendeten Formensprache notwendig sind, wird verachtet. Am erregendsten ist es für den zeitgenössischen Kunstfreund, wenn gar nichts irgendwie Sichtbares geboten wird, nur noch ein paar verhuschte Zeichen, kryptische Spuren. Den neuen Schriftgelehrten dienen sie zu Auslegungsexzessen, die um so wortreicher ausfallen, desto weniger zu sehen ist…“

Genau daran erinnerte mich dieser „Monumentum“-Artikel zur zeitgenössischen Kirchenarchitektur.

Begonnen hatte der Spuk mit Le Corbusier und seiner Wahlfahrtskirche Notre Dame du Haut de Ronchamp.
Inzwischen von vielen als genauso scheußlich empfunden wie viele seiner Zweckbauten und unendlich viele Beispiele von „Profan-Architektur“ um uns, die uns aus dem gerühmten „Bauhaus“ entstanden.

Ich setze mich gerne dem Vorwurf des Unzeitgemäßen aus, wenn ich an den modernen Sakralgebäuden nichts „schön“ finde, trotz all dem herbei geredeten modernen „Ästhetizismus“ durch ein Medium wie „Monumente“.


Dabei hätte ich mich doch traut fühlen sollen, da man als Musterbeispiel für gelungene moderne Sakral-Architektur „meine“ frühere Pfarrkirche „Mariä Himmelfahrt“ in Werneck ins Feld führte.
Ein Werk des für manch eingefleischten Unterfranken-Katholiken eher „berüchtigten“, denn „berühmten“ Würzburger Dom-Baumeister Hans Schädel. Und so sprechen jene in meiner zeitweiligen Heimat nicht umsonst von „Schädelstätten“. Nicht nur wegen deren stets mit höchster kirchlicher Genehmigung betriebenen „Häresie der Formlosigkeit“.

Diese Kirche wurde in Berlin nach den Plänen von Hans Schädel errichtet.
Wer wundert sich da noch, dass kaum einer mehr hingeht.

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* Martin Mosebach: Häresie der Formlosigkeit – die römische Liturgie und ihr Feind. Carl Hanser Verlag München – 2007

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9 Antworten zu Remake: Bröckelnde Gebets-Abschussrampen

  1. KW sagt:

    Wir haben etwas in uns, das nicht verbogen werden kann. Meine Mutter war eine anspruchsvolle Dame aus Ostpreußen, Kölmer von Anfang an und hatte einen guten Geschmack, als sie ihre Wohnung in einem Jugendstilhaus einrichtete, Nußbaum Wurzelholz die Möbel, gutes Porzellen u.a. von Schaubach (das gab es am Anfang der ddR noch), das war Anfang der 50er Jahre. Als wir an die Ostsee wegen der Arbeit meines Vaters ziehen mußten, war schon mal das Neubauviertel für mich mehr als der sonstige Kulturschock. Wenig später zogen wir in ein neueres Neubauviertel mit Glasbalkons, die in den Herbststürmen umherflogen. Dort beschlossen meine Eltern, sich neu einzurichten, Bretterschrankwand mit Drahtseitenteilen. In mein Zimmer wurde gleichfalls sowas gestellt. Ich war unglücklich, schon als Kind. Ganz schlimm wurde es bei mir, als meine Mutter für unser Ferienhaus Plastikgeschirr anschaffte, schwarze Tassen auf gelben Tellern.
    Als ich dann verheiratet war, versuchte ich sofort, Handgearbeitetes zu kaufen, so die Schrankwand, so die schmiedeeiserne Lampe im Flur, so die rustikale Eckbank aus Holz in der Küche.
    Heute haben wir englische Möbel, die zeitlos sind.
    Die neue Architektur empfinde ich als Angriff auf unsere Seele.

    • Anonymouse sagt:

      Das find ich interessant, dass man sich schon als Kind von dieser reduzierten Umgebung vom Leben abgenabelt fühlt. Mir wäre es wohl auch so ergangen, aber gottlob waren wir zu arm für eine komplette Umgestaltung. Deshalb zogen in den 70ern nur Kleinmöbelstücke und natürlich diese psychedelischen Tapeten ein. Von denen wurde man schon high ohne was geraucht zu haben. Als Kinder und Jugendliche fanden wir das natürlich voll hipp und mein größter Wunsch war ein eigenes Zimmer im 70er Jahre Stil. Dazu ist es aber nie gekommen. Später stellte ich fest, dass es ausschließlich dieses knallige orange-rot war, was mich so geflasht hatte. Ich sehe es heute noch gern. Ansonsten war unser Zuhause ein Sammelsurium der vergangenen hundert Jahre. Heute sagt man „Moderne mit Stilmöbeln gemischt, bringt den richtigen Chic“ – läuft unter Lifestyle. War halt ein Generationenhaus.

      • KW sagt:

        Ja, ich war unglücklich und teile diese Empfindung mit einem Mitstreiter, der verstorben ist. Ich mag Altes, schon immer. Ich war in einer der ältesten Schulen in Stralsund, der Hainholzschule, die gegenüber dem Jürgenfriedhof lag. Dort trieb ich mich als 10 Jährige stundenlang herum wegen der alten Gräber. Kindergräber zogen mich an, ich hatte Mitleid. Die Schule wurde kurz nach meinem Umzug dorthin geschlossen, und ich mußte in einen Neubau, der mich entsetzte. Ich bin eben auch altmodisch vom Kern her. Ich weiß nicht, wie Leute sind, die ekelhafte Gebäude entwerfen, habe gerade so eine Tante aus Dänemark gerade im Fernsehen gesehen, stammen die von Luzifer? Was ich merke: Die haben einen ekelhaften Blick.

        • Anonymouse sagt:

          Ja, so ganz geheuer sind mir diese Leute auch nicht. Keine Ahnung über welche Gehirnwindungen und Empfindungen die verfügen.
          Man könnte lange darüber rätseln, aber vermutlich ist des Rätsels Lösung ganz banal : Sie können nichts besseres.
          Diese Beton-Baukästen sind für einen Architekten eine Minimalanforderung und für die Bauherren die günstigste Variante.
          Alte Friedhöfe finde ich auch spannend und beruhigend zugleich. Als 10jährige hätte ich mich aber nicht alleine getraut, dazu lag unser Friedhof zu Abseits. Der ältere lag noch mitten im Dorf, dort waren wir oft, heute ist er ein kleiner Park.
          Tja, was will man machen, es ist der Lauf der Zeit. Altes geht, junges kommt, das ist der Weltenlauf. Vielleicht wird es leichter, wenn man sich drüber freut, dass nichts für die Ewigkeit ist ?
          Meine Schwiegermama sagte kurz vor ihrem Tod, sie freue sich. Das hat unseren Pfarrer zu Tränen gerührt und wir konnten etwas leichter Abschied nehmen. Die innere Einstellung macht den Unterschied. Wir sollten da an uns arbeiten, glaube ich.

  2. Anonymouse sagt:

    Der Begriff „Unbehaustheit“ trifft so ziemlich genau mein Empfinden in diesen uninspirierten mathematischen Räumen. Vergleichbar wäre ein unbeheizter OP-Saal, oder eine Bahnhofswartehalle, oder ein Museum modern art, oder eine leere Messehalle, oder ein KZ-Sammelgebäude … einfach grauslich. Die Spiritualität die mich in diesen mordernen Kirchenbauten übermannt, ist kalt, nackt, aufdringlich, übermächtig, abstoßend, beängstigend … also alles andere als „warm um’s Herz“. Ich bin schon froh, wenn sich keiner ehelichen, taufen oder sterben will, damit ich da nicht rein muss. Es sind wahrlich Orte zum abgewöhnen und das ist wohl auch der Sinn der Sache.

  3. KW sagt:

    In Barcelona habe ich gedacht, warum der Architekt die eine Seite der Kirche nicht auf die andere Seite übertragen wollte. Draußen wurde ich von Zigeunern mit Rosen überfallen. Da ich mit denen Erfahrung aus Leningrad hatte, sprang ich zur Seite und ließ sie ins Leere laufen. Diese häßliche Kirche und die Zigeuner, sagt das nicht alles über unsere Zeit?

  4. Patricia Steinkirchner sagt:

    Alles,was das Herz berühren und dem Leben dienen sollte, wurde verhässlicht. Siehe Kirchen, Schulen, Dörfer, Städte, Landschaften. Und die Menschen stellen sich selbst unter das Gebot der Hässlichkeit. Man sehe sich die schlampigen Gestalten an, die da herumlaufen, überall!

    • KW sagt:

      Es sind 2 Seiten, die einen bieten an, die anderen lassen es zu und bezahlen auch noch. Bei der Malerei war das so: Da gab es Leute, die leicht Geld verdienen wollten, aber nicht malen konnten( van Gogh war der erste) und erklärten ihre „Kunst“ später (er ja nicht mehr) damit, daß es jetzt den Fotoapparat gibt und sie nun ihre Bilder interpretieren, was auch der Betrachter sollte. Sie gaben diesem Stil dann einen vornehmen Namen (darin sind sie groß) Wir übten es im Zeichenunterricht, das hat sogar Spaß gemacht bei Bildern, auf denen noch etwas zu erkennen war. Ich habe solche Bilder im Wohnzimmer aus Rußland, auch die sind sehr gut gemacht, auch 2 Ölkopien vom „Fasching in Venedig“. Nun ist es so, daß solche „Künstler“ Gruppen bilden, und wenn einer hochkam, lobte er die anderen mit rauf. Gerard Menuhin beschreibt diese Sorte Mensch in seinem Buch. Die sind zwar steinreich, aber selbst ihre Gärten sind geschmacklos und armselig. Ich glaube, daß diese allgemeine Verhäßlichung unseres Lebens aus dem Trieb derer herausgeht, die auch unsere Innenstädte zerbomben ließen. Wie konnte man das tun? Im Irakkrieg haben sie die dortige Kunst ja auch zerdeppert. Aber bei denen wird es kein Nürnberg geben, weil wir nicht zusammenhalten und sie anprangern, ich meine, die internationale Menschengemeinschaft.
      Vielleicht ist die jetzige Diskussion um den Gazastreifen ein Anfang. Und es muß weitergehen. Nur nicht beschwichtigen lassen!!! Auch darin sind sie Meister.

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