Meine „K. und K.“ – Wurzeln

Meine Vorfahren stammen alle aus Böhmen, genauer gesagt aus Westböhmen, ganz nah an Bayern. Und doch war fast alles in unserer Familie deutsch-böhmisch, österreichisch geprägt: die Mundart mit ihrem reichen Wortschatz, die Küche, die kulturellen und religiösen Traditionen – kurz, das Lebensgefühl.

Durch genealogische Forschungen konnte ich unsere Wurzeln bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen, einen großmütterlichen Zweig sogar bis ins 16. Jahrhundert. Aus Neugier machte ich auch einmal einen Gentest. Das Ergebnis: zu 60 % nord-westeuropäische Herkunft, dazu deutliche Spuren vom Balkan und aus dem Baltikum. Das hatte meine Großmutter schon in Erzählungen angedeutet.
Und doch – entscheidender als jede DNA-Analyse sind die Geschichten, die weitergegeben wurden.

Mein Urgroßvater väterlicherseits war noch „Häusler“ oder „Kalupner“, wie man in Böhmen sagte. Durch harte Arbeit und eiserne Sparsamkeit erwarb er Felder und ein Anwesen im Dorf Amplatz im Kreis Bischofteinitz. Im Sommer arbeitete er als Taglöhner, im Herbst zog er mit einem Rucksack voller „Werg“ – Hanfabfällen, die man zum Abdichten von Bierfässern nutzte – nach Wien. Dort verkaufte er seine Ware an eine große Brauerei, die ihn über den Winter als Bierkutscher anstellte. Neben Lohn bekam er zwei Maß Bier als Deputat, und auch die Pferde seines Gespanns erhielten täglich eine Maß. Da er vierspännig fuhr, standen ihm sechs Maß Bier am Tag zu. Ob er diese tatsächlich trank, wollte niemand beschwören – aber das „Trinkfest-Gen“ scheint sich bis heute auch bei mir erhalten zu haben.
Vom Ersparten kaufte er Teile eines Meierhofs und baute ein stattliches Haus.
Sein Sohn, mein Großvater, musste lange warten, bis er das Anwesen übernehmen durfte. Nach damaligem Recht durfte er ohne Besitz nicht heiraten – so kamen meine beiden ältesten Onkel zunächst unehelich zur Welt, ehe er 1910 in Wien seine geliebte Maria Tauber ehelichte.


Während des Ersten Weltkriegs diente mein Großvater als Freiwilliger und brachte es bis zum Spieß in der k. u. k. Armee. 1918 übernahm er schließlich den Hof, doch das reine Bauerndasein behagte ihm nicht. Seine Leidenschaft gehörte den Pferden. Er begann mit Zucht und Handel, kümmerte sich sogar um die nach Hostau ausgelagerten Lipizzaner der Wiener Hofreitschule – ein Stolz, von dem er gern erzählte. Musik lag ihm ebenso am Herzen: mit seiner Klarinette spielte er im Wirtshaus auf, sehr zum Leidwesen seiner Frau, die sich dann allein um die Landwirtschaft kümmern musste.
Auch für seine Söhne hatte er klare Vorstellungen: der Älteste sollte Lehrer werden, der Zweite den Hof übernehmen, der Dritte Kaufmann. Nur der Jüngste, mein Vater, musste – wie er sagte – einen „fressernden Beruf“ erlernen.

Solche Erzählungen prägen. Manches davon erkennt man bei sich selbst wieder.

Und was ist nun von dieser „K. und K.“-Welt geblieben?

Meine Sprache etwa. Obwohl ich im Fränkischen aufgewachsen bin, hören mich viele eher als Österreicher. Wortwahl und Klangfarbe erinnern an meine Eltern und Großeltern. In der Schule war ich der Vorleser – wohl gerade wegen dieser Färbung.

Auch mein Geschichtsinteresse ist süddeutsch-österreichisch-tirolerisch geprägt, natürlich auch böhmisch.
Ernst Trosts „Die Donau – Lebenslauf eines Stromes“ hat mich tief berührt.
Meine liebsten Schriftsteller stammen aus diesem Kulturkreis: Joseph Roth, Stefan Zweig, Franz Werfel, Ödön von Horváth, Peter Rosegger – und Grillparzer steht für mich gleichauf mit Goethe und Schiller.

Nicht nur die Landschaft zieht meine Töchter und Enkel nach Südtirol. Dort spürt man Seele und Geist des alten Österreich, stärker als anderswo.
Rainhard Fendrichs „I am from Austria“ trifft mein Gefühl für diese Bindung wohl am besten.

Und dann ist da noch das Kulinarische. Bei uns wird modern und italienisch gekocht, aber auch böhmisch: Wiener Schnitzel kennt die Welt, doch Powidl-Tatschkerln, Gschmalzne Dalken, Lungenbraten, Hahnerl im Rahm, Germknödel – süß oder pikant – und natürlich Gulasch, das sind echte K. und K.-Gerichte.

Ich liebe Franken, meine Heimat des Aufwachsens. Und doch bleibt da dieses Gefühl, das mich mit meinen Altvorderen verbindet – ein Erbe aus Sprache, Erzählungen, Liedern und Rezepten, das in mir weiterlebt.

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4 Antworten zu Meine „K. und K.“ – Wurzeln

  1. Gerhard Bauer sagt:

    Ja, die Altvorderen wirken und „leben“ in uns weiter. Still und leise aber sie sind da. Mittendrin.

    • Juliana Bauer sagt:

      Ein schönes Foto ist das, das Ihrer Großeltern. Und zeigt einen hübschen Mann und eine feinsinnig-delikate, elegante Frau. Mit einem traumhaften Blumen-Hut im Stil der vorletzten Jahrhundertwende.
      Auf einer Wiese an der Dreisam bei Freiburg begegnete ich vor Jahren einer Blumen pflückenden Hutmacherin. Es war damals die letzte ihres Handwerks in der Breisgaustadt (vielleicht gibt es wieder eine). Sie meinte, die Blumen seien nicht nur ein Schmuck für Ihre Werkstatt, sondern auch „Anschauungsmaterial“ und Inspiration für ihre Arbeit. Dann bedauerte sie sehr, dass die „heutigen Frauen keine Hüte mehr tragen“, dass sie nicht mehr „die Eleganz der Hüte erkennen und schätzen“ würden…
      Übrigens: Ihr Artikel ist erfrischend. Er kann diesen ganzen Wust durchbrechen, den wir täglich in sämtlichen Pressemitteilungen durchwühlen müssen. Egal, zu welchem Thema. Und die wüsten Attacken beiseite schieben, die Attacken gegen alles und gegen alle, die nicht der Auffassung dieser verkommenen Gesellschaft sind. Die Bösartigkeit und Dummheit gegen den ermordeten Ch. Kirk, dem viele nicht einmal Achtung im Tod entgegenbringen, die Härte und Rücksichtslosigkeit der Witwe und den Kindern gegenüber, offenbaren zur Zeit die Seelenlosigkeit einer am Abgrund sich befindenden Gesellschaft, vor allem in Europa und Deutschland. Bei der schändlicherweise eine ganze Reihe von „Christen“ mitspielt…

      • altmod sagt:

        Danke für Ihrem Kommentar und die Komplimente:
        Ich habe jetzt begonnen, einen Roman aus dieser und älterer Zeit zu schreiben. Mit meinen Vorfahren als „Helden“ und teils fiktiven Personen und Handlungen: Arbeitstitel „Lipizzaner tanzen nicht nach der Klarinette – Eine Familiensaga aus Westböhmen 185o – 1946! Die Klarinette wie die Lipizzaner spielen darin eine bestimmende Rolle.
        Eine spannende Zeit in Böhmen und in Wien in der zweiten Hälfte im vorletzten Jahrhundert, bis zur Vertreibung der Familie aus Böhmen 1946. Die Recherchen und Quellen sind gleichwohl spannend.
        Ich hoffe, ich schaffe das „Werk“ bis zu Ende.

  2. Juliana Bauer sagt:

    Noch ein Zusatz: meine Wurzeln liegen väterlicherseits in Hohenlohe, beim Taubertal sowie im Umfeld von Schwetzingen.
    Mütterlicherseits aber in Portugal (von Mutters Vater) und am Oberrhein, dort jedoch, wo bis ins 5.Jh. die Römer nachgewiesen sind. Aus Portugal kamen die Vorfahren, Reformierte, nach Straßburg.

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