Neulich sagte die beste aller Ehefrauen: „Heute ist Leichtathletik.“
Ich nickte, wie man eben nickt, wenn man sagt: „Heute regnet es.“ Oder: „Die Müllabfuhr war schon da.“
Aber ich irrte mich. Es war nicht „heute ist Leichtathletik“ – es war, ab jetzt ist Leichtathletik. Und zwar nicht irgendwie, sondern: Total! Weltcup! Oder was sonst.
Oder wie zuletzt bei Biathlon im Winter: Mit Splitscreen auf dem Bildschirm, Hintergrundreportage und emotionalen Porträts von Menschen, die in Lillehammer auf Skiern das Atmen nicht vergessen haben.
Ich lebe mit einer Sportfanatikerin. Es ist Zeit, dass ich das anerkenne.
Im Prinzip ist es ja wunderbar. Meine Frau liebt Sport, sie lebt ihn, sie durchdringt ihn. Während ich darüber nachdenke, ob ich heute lieber Schnitzel oder Spaghetti zum Abendessen haben möchte, weiß sie, wie viele Sekunden Rückstand die Drittplatzierte im Sprint von Antholz auf dem letzten Zwischenabschnitt hatte. Sie kann sich echauffieren über eine falsche Windfahne, sie leidet mit, sie jubelt mit – und manchmal auch laut.
Es ist ein bisschen so, als würde man mit einem Fanclub zusammenleben, nur eben in einer Person.
Ich dagegen sitze in meinem Kabuff. Das ist mein Raum. Mein Ort des Denkens, Schreibens, Schweigens, aber auch von persönlichem Saustall.
Doch das Sportgeschehen dringt durch jede Ritze. Die Reporterstimmen hallen wie ferne Unwetter, ihre Sätze sind merkwürdig bedeutungsschwer:
„Jetzt zählt nur noch der Wille!“
„Der Puls – am Limit!“
„Was für eine Wahnsinnsleistung!“
Es klingt immer ein bisschen wie Weltuntergang, aber in bunt und mit Medaillenchance.
Ich habe vieles versucht:
- Einfach Türe schließen.
- Musik auf Youtube anhören.
- Mich in Podcasts über die innere Leere meines Daseins flüchten.
- Natürlich auch mit Kopfhörer.
- Rufe eine Folge „Barnaby“ auf.
Aber es hilft nichts. Wenn ein 5.000-Meter-Lauf startet, dann startet auch der emotionale Ausnahmezustand im Wohnzimmer.
„NEIN!“, ruft meine Frau.
„JA!“, ruft meine Frau.
Ich sitze da und denke: Ich wollte doch nur in Ruhe jetzt vielleicht doch mal die Steuer machen oder mein Schreibtisch-Chaos reduzieren. Und mich nicht von Kathrin Müller-Hohenstein, Esther Sedlaczek, Christiane Graf, Laura Wontorra u.a. ablenken lassen – über die männlichen Schreihälse des Schreifunks mag ich gar nicht reden.
Doch, wir reden dann manchmal.
Ich sage: „Könnte man den Ton vielleicht etwas…“
Sie sagt: „Aber das ist doch das Finale!“
Und ich denke: „Ich bin auch in einem Finale. Innerlich.“
Und manchmal macht sie dann tatsächlich leiser.
Und ich denke: Liebe ist manchmal vielleicht auch nur ein Kompromiss über die Dezibelzahl im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Es ist schön, mit jemandem zu leben, der für etwas brennt. Ich brenne eher für Stille oder schöne Musik Sie für die 4 × 6-Kilometer-Staffel der Frauen.
Wir treffen uns manchmal irgendwo in der Mitte. In der Wiederholung. In der Werbung – die wir beide gleichermaßen hassen (da sind wir uns unbedingt einig).
Ist das die wahre Meisterleistung in einer Beziehung: Wenn man eine Hälfte eines Partners und ihres Lebens nicht versteht – aber trotzdem gern mit ihr lebt?
Für solche Anlässe haben wir uns einen komfortablen Kopfhörer mit langer Schnur zum „Kasten“ angeschafft. Warum sollen die Ruhebedürftigen Kopfhörer tragen, wenn sie den Lautstärkebedürftigen genauso gut stehen ?
Zwei unterschiedlich brennende Kerzen und doch eine Flamme. So ist das Eheleben und das ist gut so. Alles andere wäre doch auch langweilig.