Nur noch Zorn …

Zorn ist mein Nachtmahl; so mich selbst verzehrend,
Verschmacht‘ ich an der Nahrung. Laßt uns gehn!
Laßt dieses schwache Wimmern, klagt wie ich,
Der Juno gleich im Zorn! – Kommt, kommt!“

William Shakespeare – Coriolanus

Warum bin ich so zornig? Ärger, Wut? Warum und worüber? Was gibt meiner schlechten Stimmung Nahrung? Dazu in einem Alter, in dem man eher gelassen, „weise“ oder altersmild die Welt betrachten sollte. Sich eher noch verbleibenden Annehmlichkeiten und Genüssen empfänglich zeigen und sich nicht mehr so echauffieren sollte.
Warum kann ich mich fast nicht mehr mäßigen?
Zählt doch der Zorn zu den großen Untugenden. Zu den Schwächen, die den Grad sozialer Aggression ansteigen lassen.

Ich möchte keinen Hehl mehr aus meinem Zorn machen. Destruktiv oder nicht – ist mir gleich!

Ein Grund, warum ich öffentlich schreibe, habe ich auf meinem Blog folgendermaßen begründet: zum Blitzableiten, zur persönlichen Psycho- und Verstandes-Hygiene …

Wolfgang Sofsky schreibt in seinem „Buch der Laster“: „Ärger setzt das Niveau sozialer Unfreundlichkeit um einige Stufen nach oben“. Wie wahr! Es sollte mir nicht mehr reichen, z.B. nur noch meinen Ärger über eine Person, wie diese nicht verbleichend wollende Bundeskanzlerin, in einem Pamphlet zu artikulieren. Oder mir über diese politischen Kreaturen wie Lauterbach, Söder und andere, meinen Schleim aus Hals oder Nase in den Mund ziehen und ausspucken. Symbolfiguren für den ganzen Unrat, der seit bald mehr als zwanzig Jahren hierzulande entstanden ist.

Was mich zornig macht!

Ganz allgemein könnte ich es darauf reduzieren, dass Gewissheiten oder auch Selbstverständlichkeiten, die für mich leitend, die mir für den Halt in der Welt bedeutend waren, torpediert und zerstört wurden und werden, nichts mehr gelten.

Ein neuzeitlicher kluger Psychologe und Philosoph, Martin Seligman, definierte in einem seiner Bücher folgende Tugenden als „Glücks-Faktoren“ für uns Menschen:

Weisheit und Wissen: Kreativität, Neugier, Urteilsvermögen, Liebe zum Lernen, Weisheit
Mut: Authentizität, Tapferkeit, Durchhaltekraft, Enthusiasmus
Humanitas und Liebe: Freundlichkeit, Bindungsfähigkeit, Soziale Intelligenz
Gerechtigkeit: Teamfähigkeit, Fairness, Führungsvermögen
Mäßigkeit: Vergebungsbereitschaft, Bescheidenheit, Selbstregulation, Vorsicht
Transzendenz: Schönheitssinn, Dankbarkeit, Optimismus/Hoffnung, Spiritualität, Humor.

Was ist davon übrig geblieben, in dieser neuen, „formierten“ Gesellschaft, in unseren Beziehungen untereinander?

– Weisheit und Wissen sind nicht mehr einwandfreie Belange. Was Wissenschaft sei, wird dem strategischen, politischen Kalkül unterworfen. Es gilt nur noch, was von den Regierenden oder Mächtigen oder den „moralisch Integren“ als wissenschaftlich oder wissend angesehen wird. Neugier und durchaus anspruchsvolles Urteilsvermögen Oppositioneller gilt nichts, ist mehr als verdächtig. Dass dabei die Kreativität – und auch die Liebe zum Lernen – ohne die es weder im Wissenschaftlichen noch im Kulturellen einen Fortschritt gibt, unterdrückt und denunziert wird, will kaum einer mehr erkennen. Müßig, sich da auch noch über Weisheit Gedanken zu machen.

– Wer mag bald noch Mut aufbringen, Durchhaltekraft gegen diesen Sturm von Denunzierung und Kriminalisierung seiner individuellen Einstellung und von Mitmenschen – obschon die ja auch einen substanziellen Unterbau haben? Wer traut sich damit noch seine eigene Meinung, seine Sicht der Dinge zu artikulieren oder noch dafür auf die Straße zu gehen?
Die Tugend der „Tapferkeit“ ist ja schon lange in unserer aufgeklärten Republik diskreditiert worden. Darum bringt keiner mehr, oft nicht mal mehr bei den engsten Freunden und Familienmitgliedern, noch eine Achtung eine Energie für diese Tugend auf. Sie stört den Konsens, die Bequemlichkeit, in die man sich mithilfe der Regierung und der tonangebenden Meinungsmacher eingerichtet hat.

Gelebte oder artikulierte Authentizität ist unter dem Diktat der Mehrheitsmeinungen zu einer angeblich nicht mehr erträglichen Anmaßung und Konfrontation geworden, die auf allen erdenklichen Ebenen verfolgt wird. Dass dabei jede Art von Enthusiasmus, doch irgendwie auch gemeinschaftliche Lösungen finden zu können, ausgeschaltet wird, brauche ich nicht zu betonen.

– „Humanitas“ ist nicht nur wörtlich zur moralisch überladenen Tyrannei entartet. Die allwissenden Regierenden haben eine Praktik entwickelt, die alle, ja alles – hier und in allen Landen der Welt – schützen und helfen soll. Als „inhuman“ ist natürlich derjenige anzusehen, der sich gegen so ein System – natürlich werden egoistische Gründe unterstellt – wehrt oder auch nur äußert. Wer sich z.B. nicht impfen lässt, wird mit Liebesentzug bestraft. Er wird als Sozial- oder Volksschädling oder gar „Todesengel“ geschimpft; von denen, die gleichwohl keinerlei Anzeichen von sozialer oder emotionaler Intelligenz mehr vorweisen. Dass derjenige, der sich dem überantwortet, jede Bindungsfähigkeit aufgibt, ist nur konsequent. Von „Freundlichkeit“ von Seiten der Guten kann man nicht mal mehr einen Traum haben.

– Gerechtigkeit, als ein tragender Leitgedanke, ist nicht erst in den Corona-Zeiten abhandengekommen. „Gerechtigkeit“ ist im Politischen ohnehin die lügenhafteste Phrase. Was kann man damit nicht alles begründen. Was entstand da nicht alles? „Frauengerechtigkeit“ vulgo „Feminismus“, LBGT und „Black Lives Matter“, „Cancel Culture“ und was nicht sonst noch. Minderheiten, die gegen die Mehrheit kämpfen und dabei doch jedwede anderen Minderheiten mit befehden. Es wurde zum herrschenden Prinzip in Unternehmen – und nicht nur dort, sich aus Rechtfertigung von „Gerechtigkeit“ an Minderheiten anzuwanzen. Das wurde als Voraussetzung propagiert, „Teamfähigkeit“, „Bindungsfähigkeit“ und „soziale Intelligenz“ zu beurkunden.
Von Fairness mag man schon gar nicht mehr sprechen. Jeden Tag Hetze und Ausgrenzung gegenüber Menschen, die nicht dem „Common sense“ folgen wollen, die ihrem eigenen Verstand folgen wollen. Verbreitet im Stundentakt über die öffentlich rechtlichen Medien.

– Darin ist auch weder Mäßigkeit, noch Vergebungsbereitschaft zu erkennen. Man versucht, sich in der Unmäßigkeit von Forderungen und Angriffen noch zu übertreffen: vom Präsidenten des Weltärzteverbandes bis hin zu selbsternannten „Experten“ aus allen sozialen Schichten und Professionen, Kommentatoren und „Kulturschaffenden“ usw. Bescheidenheit ist eine Tugend, die im öffentlichen Bereich schon lange nicht mehr anzutreffen ist. Damit verlieren – durch negative Beispielgebung – schon unsere Kinder und die „Heranwachsenden“ die Fähigkeit zu einer gesunden Selbstregulation, die Voraussetzung im physiologischen Sinn und im Psychischen ist, für Erhaltung, Behauptung und „gesundes“ Überleben.

– Mit „Transzendenz“ kann und will der moderne Zeitgenosse, diese dumpf vor sich hin konsumierende, nur noch nach diesseitiger, fragwürdiger Sicherheit strebende Kreatur, nichts mehr anfangen. Mit dem jenseits der Erfahrung des im Gegenständlichen Liegenden, dem Überschreiten der Grenzen von Erfahrung und des Bewusstseins, auf deren göttlichen Grund hin, hat er gebrochen, dafür bringt er keinen Sinn mehr auf. Darin liegt auch ein Grund dafür, dass ganz allgemein und im Individuellen der Sinn für Schönheit verloren ging. Das Hässliche, Schrille und Obszöne ist in diesem Zusammenhang schon lange prägend geworden.

Spiritualität erschöpft sich für viele allenfalls in obskurer Esoterik, die ihre Bezüge nicht mehr in unserer, inzwischen gern verachteten und vormals präsenten Kultur finden mag, sondern sich geschmäcklerisch eher dem geistig und profan Fernsten hinwendet.

Gott ist tot“ ist die (gar nicht so neue) Devise. Aber ohne Glaubenslehren mag auch der Zeitgenosse nicht auskommen. Das sind die heute die Gesundheits- und natürlich die Klima-Religion. Wie den Flagellanten-Scharen im Mittelalter folgt man den neuen Aposteln und Propheten in Sachen Klima, Gesundheit – und gerne dem Gott der Demokratie.

Ich bin so zornig, da ich nicht geglaubt habe, erleben zu müssen,

  • in einer Gesellschaft zu leben, in der von heute auf morgen alle Grund- und Freiheitsrechte per staatlicher Order mithilfe willfähriger Medien abgeschafft werden können;
  • ein großer Teil der Bevölkerung das nicht nur stillschweigend hinnimmt, sondern dazu auch noch applaudiert;
  • mit (Millionen von) Mitmenschen zusammen zu leben, die harte Gewalt gegen Andersdenkende (die Maßnahmenkritiker, Ungeimpfte, „Querdenker“, „Rechte“, „Umweltsünder“, „Klimaleugner“, usw.) befürworten;
  • man jederzeit so schnell bereit ist, nicht nur solcherart Abweichende vom gesellschaftlichen Leben auszuschließen;
  • dass mein Vertrauen in eine demokratische Ordnung und den Rechtsstaat so grundlegend zerstört werden konnte;
  • was sich gegenwärtig in vielen Mitmenschen an Hass, Aggression und verdrängten Wünschen offenbart, obwohl in gewisser Weise immer schon immer virulent vorhanden war, aber mühelos reaktiviert werden konnte;
  • wie alle meine Werte mit Füßen getreten werden und davon nichts mehr gelten mag oder öffentlich noch wirken.

Mein Zorn mildert sich, da ich noch eine funktionierende Familie und hoffnungsstimmende Kinder und Enkel habe; noch Freunde – auch wenn weniger mit mir die „Krise“ in meiner Sicht überstehen mochten. Noch habe ich meine Musik, meine Malerei, die Schriftwerke, die nicht vergehen, meine fränkischen Heimaterlebnisse.
Wie oft habe ich an dieser Stelle geschrieben, „die Hoffnung stirbt zuletzt“ – zuletzt natürlich bei mir selbst, wenn ich mich nicht nur auflehne.
Aber manchmal braucht es den Zorn.

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2 Antworten zu Nur noch Zorn …

  1. Gerhard Bauer sagt:

    Guad Moing Frieder, Du bist nicht allein, wir sind nicht allein. Wir sind viele, wenn auch oft stumm oder mundtot gemacht. Aber wir sind da. Kopf hoch und Brust raus, pflegte unser Volksschullehrer, ein vertriebener Sudetendeutscher, zu sagen.
    In diesem Sinne, bis bald und halte die Ohren steif.
    Viele Grüße aus Bayern
    Gerd

  2. Patricia Steinkirchner sagt:

    Sehr gut geschrieben, ich finde mich in diesem Zorn wieder. Seit geraumer Zeit habe ich Angst, zurück in die Depression zu fallen, die ich glaubte gut im Griff zu haben. Besser Zorn und Wut als Angst! Früher konnte ich mir nicht vorstellen, jemals zu hassen, aber inzwischen ist mir dieses Gefühl sehr vertraut.

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