Schöne neue digitalisierte Welt

Und: was hat die elektronische Gesundheitsakte mit dem jüngsten Datenskandal zu tun?

Landauf, landab ist die Aufregung groß über die Hackerangriffe auf persönliche Daten von Politikern und sog. Promis. Die „Qualitätsmedien“ und auch alle Mickerpostillen kriegen sich seit zwei Tagen kaum ein über diesen Skandal, der nun gar die Amokfahrt von Bottrop aus den Schlagzeilen verdrängt hat. Der Linksfunk berichtet von einem regelrechten Empörungs-Tsunami.
Viele von denen, die jetzt von der Ausspähung betroffen sind, waren in der Vergangenheit nicht müde, den rückständigen Status der Bundesrepublik in Sachen Digitalisierung und Vernetzung zu beklagen. Jetzt wird denn auch auf die behördlichen Datenschützer eingeschlagen, die nicht ausreichend und früh genug berichtet (und geschützt?) hätten. 

Nach der „goldenen Regel“ soll man das, was man selbst nicht erleiden möchte, nicht auch anderen auf den Leib wünschen.
Aber es ist schon sehr viel Heuchelei von Seiten der Politik im Spiel. Die allerhöchste Empörungsbeauftragte der Republik, Claudia Roth sieht neben anderen Gesinnungsgenoss*innen gar einen schweren und schwersten  Angriff auf unsere Demokratie.
In „unserer Demokratie“ nimmt man es selber aber nicht so genau, wenn es um die Freiheitsrechte des großen Lümmels, dem Volk, geht.
Zensur und Ausspähen rechter Gesinnung wird als vertretbar angesehen und gefordert.
Ist ja notwendig, denn:

 „Nur Politikerinnen und Politiker der AfD sind laut Bundesinnenministerium bislang vom Datenleak ausgeschlossen. Es gibt zudem Hinweise auf Verbindungen in die rechte Szene. Der Twitter-Account, über den das Material veröffentlicht wurde und der inzwischen gesperrt ist, folgte rechtsextremen Accounts und beteiligte sich an rechtsradikalen Diskussionen.“

schreibt die ZEIT.

Nebenbei erwähnt, war dieser Blog vor einigen Monaten auch schon mal Opfer eines Hackerangriffs. Warum wohl?
Ich habe daraus gelernt und meinen Account (hoffentlich) besser abgesichert.

Was, wenn sich „Big Brother“ weiter ausbreitet?

Dazu möchte ich das Thema der „elektronischen Patientenakte“ aufgreifen. Die soll bis 2021 definitiv eingeführt werden, wie Union und SPD im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Einzelne Krankenkassen testen sie bereits und es gibt dazu auch private Anbieter für (interessierte) Patienten und Ärzte. Allerdings unter dem Titel „elektronische Gesundheitsakten“, da bislang die rechtlichen Voraussetzungen für die „elektronische Patientenakte“ fehlen – was der Gesundheitsminister rasch ändern möchte. 

Man kann sich u.a. auch hier über die elektronische Gesundheitsakte und das sog. E-Health-Gesetz informieren.
Angeblich sind sich alle einig: die Digitalisierung der Patientenakten ist dringend notwendig.
Das habe folgende Vorteile:

  • Jeder Arzt hat alle wichtigen Daten schnell verfügbar.

  • Im Notfall können Ärzte im Krankenhaus sofort sehen, welche Vorerkrankungen ein Patient hat und ob er bestimmte Medikamente nicht verträgt.

  • Patienten können unabhängig von der Dokumentationspflicht der Ärzte und Zahnärzte medizinische Daten speichern und verwalten, um ihre Informationslage im Gesundheitswesen zu verbessern.

  • Für Versicherungen entstehen Effizienzvorteile, wenn Überweisungsscheine, Rezepte und Arztbriefe elektronisch in die eGA dem Patienten ausgestellt werden.

  • Basierend auf den Krankendaten könnte über statistische Verfahren (Big Data) Wahrscheinlichkeiten für Krankheiten errechnet und so ggfs. Vorsorge getroffen werden.

Man kann Doppeluntersuchungen und damit Belastungen der Patienten vermeiden. Ja die elektronische Gesundheitsakte könne sogar Menschenleben retten. Heißt es.

Gegen jede einzelne der oben aufgeführten Prämissen kann man von fachlicher Seite signifikante Gegenargumente auffahren.
Die schwerwiegendsten Einwände beziehen sich aber auf den Datenschutz.
Wird man nach dem jetzigen „Datenskandal“ überlegter und vorsichtiger an das Projekt herangehen?
Was bisher auf dem Markt existiert, wird vielen Grundsätzen von „digitaler Sicherheit“ nur in schlechtester Weise  gerecht.

Mit großem Aplomb berichtete auch die Linkspresse von der Markteinführung einer solchen „Gesundheits-App“.

„Arztbefunde, Röntgenbilder oder Medikamente: Versicherte von 14 gesetzlichen und zwei privaten Krankenkassen können ab sofort ihre persönlichen Daten in einer elektronischen Gesundheitsakte speichern. Die kostenlose App „Vivy“ steht insgesamt rund 13,5 Millionen Versicherten zur Verfügung, wie das gleichnamige Berliner Start-up am Montag mitteilte.“

berichtet der Spiegel.
Bald danach wird von gravierenden Sicherheitsmängeln bei der „App“ berichtet.
Der Informatiker Martin Tschirsich trug diese – und auch von anderen „Portalen“ – kürzlich auf dem „35. Chaos Communication Congress“ in Leipzig vor. Interessierte können den Vortrag hier verfolgen.

Unbeleckt davon schreibt aber ein Ärzte-Informationsdienst über diese schöne neue Welt: „…etwas mehr Mut könnte Menschenleben retten. Wir verzichten auf lebensrettende Tools, weil wir datenschutzrechtliche Bedenken haben. Andere Nationen sind deutlich mutiger.“
Denn: Deutschland sei ein digitales Entwicklungsland und würde laut einer kürzlich veröffentlichten Analyse der Bertelsmann-Stiftung hier ziemlich mies abschneiden.

Bertelsmann schon wieder!

Dorothee Bär, das einstige CSU-Polit-Girly aus der fränkischen Provinz möchte dafür den Datenschutz lockern: „Tatsächlich existiert in Deutschland aber ein Datenschutz wie im 18. Jahrhundert“, sagt die jetzige Staatsministerin für Digitalisierung. „Wir haben in Deutschland mit die strengsten Datenschutzgesetze weltweit und die höchsten Anforderungen an den Schutz der Privatsphäre.
Sie wünscht sich Abstriche beim Datenschutz, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben.
Wo lebt denn diese Statsministerin? Weiß sie nicht, dass es mit der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein verbindliches Datenschutzrecht für alle EU-Staaten gibt? Wohl seit dem 18. Jahrhundert!?

In Deutschland möchten Politiker offensichtlich mehr, denn es sind wohl nur Daten sicher, die von ihnen kontrolliert werden können.
Und genau das ist die Sicherheitslücke.
Und die Vertrauenslücke! 

Tim Berners-Lee, einer der Entwickler des WorldWideWeb, sagte am 05.11.18 auf der Web Summit Conference in Lissabon:

„Alle möglichen Dinge sind schiefgelaufen. Wir haben Probleme mit der Privatsphäre, dem Missbrauch persönlicher Daten, die Menschen können so profiliert werden, dass sie durch clevere Werbung manipuliert werden können. Sie können zu Websites geführt werden, an denen sie auf Fälschungen stoßen können auf Gemeinschaften gefälschter Menschen mit falschen Ideen und falschen Wahrheiten. Im Web gibt es viele Probleme.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Nochmal kurz zurück zur elektronischen Patientenakte.
Der Autor dieses Artikels steht als (nicht mehr praktizierender) Arzt nicht gegen den Fortschritt auf. Ich nutze selbst die Vorteile der digitalen Technologien nicht nur im medizinischen Bereich. Aber, meine ich: überlasst den Patienten ihre Daten persönlich – auf einer Chipkarte o.ä. – und überlasst ihnen damit die Verantwortung, an wen sie die Daten geben und an wen nicht.

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