Im Bundestag hat man gestern (10. April 2019) über die kostenlose Zulassung der vorgeburtlichen Bluttests debattiert. Die Einstellungen gehen quer durch alle Fraktionen und es gibt glücklicherweise noch Abgeordnete, die sich für den Lebensschutz einsetzen und gegen den verhängnisvollen Trend der Selektion „unwerten“ Lebens und der zügellosen Abtreibung wenden.
Die Einstellung der Evangelischen Kirche war bekanntermaßen schon klar und der Christusverleugner Bedford-Strohm hat sich in der Nazi-Tradition seiner Kirche auf die Seite der Selektierer gestellt und sich dazu noch in heuchlerische Weise für „Lebensschutz“ ausgesprochen.
Aus dem aktuellen Anlass stelle ich meinen Artikel zum Thema vom 19. März nochmals hier zum Lesen ein.
Neun von zehn ungeborenen Kindern mit Down-Syndrom werden vor der Geburt getötet
Laut einem Spiegel-Bericht will am Freitag (22. März) der Gemeinsame Bundesauschuss (G-BA) von Krankenkassen, Ärzten, Kliniken und Patientenvertretern ein offizielles Stellungnahmeverfahren zu seinem Beschlussentwurf einleiten, dass die gesetzlichen Krankenkassen künftig die Kosten für einen vorgeburtlichen Bluttest auf das Downsyndrom übernehmen.
Diesen Test, der schon von der zehnten Schwangerschaftswoche an möglich ist, gibt es seit 2012 auf dem deutschen Markt.
Im Unterschied zu einer „invasiven“ Fruchtwasseruntersuchung hat er nicht das Risiko einer höheren Fehlgeburtsrate. Derzeit müssen die Kosten von etwa 200 Euro von selbst getragen werden. Der Test ist umstritten, da sich viele Eltern nach einem positiven Ergebnis für eine Abtreibung entscheiden, wie die Erfahrung in anderen Ländern gezeigt hat.
Die Diskussion um die kassenrechtliche Zulassung der umstrittenen Tests läuft schon seit etlichen Monaten. Fünf der sechs Bundestagsparteien (ohne AfD) wollten dazu schon letztes Jahr eine Ethikdebatte im Bundestag angestoßen haben. Der Bundestag hat noch nicht darüber diskutiert. Gleichwohl hat sich die evangelische Kirche bereits positioniert. Sie plädiert dafür, dass die Krankenkassen die Kosten für die ethisch umstrittenen Bluttests auf Down-Syndrom beim ungeborenen Kind übernehmen sollen.
Es gibt zum Glück noch Abgeordnete, die sich diese Frage nicht leicht machen. Die SPD-Abgeordnete und frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (gerade die!?), auch Vorsitzende der Lebenshilfe, fürchtet bei Einführung einer solchen Regelleistung ein unethisches Screeningverfahren mit der Folge einer massenweisen Abtreibung behinderter Kinder. „Das darf nicht sein“, sagte Schmidt bei der Diskussion der EKD. Sie wolle nicht, dass Eltern sich dafür rechtfertigen müssen, dass sie behinderte Kinder haben.
Letzteres macht denn aber stutzig. Geht es bei dieser Debatte um das Lebensrecht der Kinder oder um die Befindlichkeit der unglücklichen (?) und vielleicht angegriffenen Erzeuger? Welche Frage?
Die Folgen einer Abtreibung münden nicht nur in eine „Befindlichkeitsstörung“ aufgrund eines möglichen Rechtfertigungszwangs.
In einer zutiefst gestörten, neurotischen Gesellschaft.
Ausgerechnet „Die Zeit“ hat sich dankenswerterweise dieser bedrückenden Problematik angenommen. In einem eindrucksvollen Beitrag werden die die aufwühlenden Empfindungen und Reaktionen von betroffenen Eltern auf die Tötung des eigenen Kindes geschildert.
„Wir sind verdammt noch mal auch Menschen“,
sagt und kämpft der mit Downsyndrom lebende Berliner Schauspieler Sebastian Urbanski gegen das Vorab-Screening, gegen den Test auf scheinbar „unwertes Leben“.
„Ich bin dagegen. Weil er Menschen wie mich vor der Geburt aussortiert. Wir alle haben ein Recht auf Leben. Gehört zur Vielfalt des Lebens. Vielfalt heißt auch, dass wir alle gemeinsam leben. Behinderte und Nicht-behinderte“.
Das sagte er bei einer Pressekonferenz zur vorgesehenen Ethik-Debatte im Bundestag im Oktober letzten Jahres.
Ich denke, das ist der konstitutive Punkt in der Debatte
Der CDU-Abgeordnete Rudolf Henke, zugleich stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag:
„Ethisch hat jeder Mensch einen natürlichen Anspruch, gewollt und willkommen zu sein. Die vom Grundgesetz als unantastbar gewährleistete Würde des Menschen kann und darf auch durch Krankheit, Behinderung oder den Bedarf an Fürsorge und Pflege nicht verloren gehen.“
Wie sollen wir das verstehen? Was meint der Abgeordnete? Der Gehalt des zweiten Satzes ist für unsere Gesellschaft nicht mal mehr eine Trouvaille. Zur ersten Aussage möchte man dann aber fragen, soll ein Test ermitteln, ob dieser (möglicherweise?) behinderte Mensch „gewollt und willkommen“ ist?
Ein vielleicht abseitiger Schlenker: Im Blick auf „Geflüchtete“ – mit denen uns so viel weniger verbindet, als die von uns gezeugten Kinder – darf diese Frage in unserer Gesellschaft schon gar nicht mehr gestellt werden.
In Ländern wie Dänemark und Norwegen, in denen das Trisomie-Screening schon länger freizügig geübt wird, gibt es kaum noch Geburten von Down-Kindern. Früher mit der „rassistischen“ Bezeichnung „Mongoloide“ stigmatisiert. Neun von zehn als „mongoloid“ erkannten Kindern werden vor der Geburt getötet.
Ich will nochmal auf die Position der evangelischen Kirche resp. deren Theologie zurückkommen.
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates ist der evangelische Theologe und Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Erlangen, Prof. Peter Dabrock.
Aus einem Interview der katholischen Tagespost mit ihm fielen mir folgende Statements auf:
„Mit Tests verhindert man nicht, dass es Behinderungen gibt. Man muss sich klar machen: Mehr als 90 Prozent aller Behinderungen werden während oder nach der Geburt erworben, und diese Menschen erfahren doch auch Liebe. Dann: Handelt es sich bei der Debatte um die neuen Tests nicht um eine Stellvertreterdebatte? Es wirkt so, als sei zu erwarten, dass zu den rund 100 000 Schwangerschaftsabbrüchen in Zukunft dann ganz viele nach nichtinvasiven Pränataldiagnostiken hinzukämen. In Wirklichkeit machen aber die medizinischen Indikationen derzeit nur drei Prozent aller Fälle aus.
… Richtig und für sich genommen ist das quantitative Argument auch keins. Ich finde es jedoch wichtig, dass wir uns auch über die Dimension klar werden, und ich glaube, dass die in der Bevölkerung so nicht bekannt ist. Es wird also nicht um weitere 100 000 Fälle gehen.
… Die Frage ist ja nicht mehr: zulassen oder verbieten. Die Tests sind zugelassen. Die Frage ist nur, ob sie, wie auch die invasiven Tests bei Risikoschwangerschaften in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden. Und da halte ich es für eine nicht plausibel zu machende Ungleichbehandlung, wenn wir sagen, die einen Tests finanzieren wir, die anderen aber nicht, zumal diese – anders als die invasiven Tests – nicht mit dem Risiko einer Fehlgeburt verbunden sind.
Mich haben diese Aussagen eines Theologen verwirrt.
Oder doch nicht, denn sie sind Ausdruck dieser abgrundtiefen Beliebigkeit und Relativierung, mit der man inzwischen mit erschütternden Fakten umzugehen pflegt:
Über 100.000 (gemeldete) Abtreibungen im Jahr in Deutschland.
Und der „Theologe“ relativiert seine Befürwortung der im Grunde „mörderischen“ Pränataldiagnostik der Trisomie damit, dass ohnehin nur drei Prozent aus „medizinischer Indikation“ erfolgten. Ist das nicht eine zynische Hinnahme der unverantwortlich hohen Auslöschungsrate an ungeborenem Leben.
Der vergleichende Hinweis auf das Risiko von invasiven Tests ist für mich nur schlichtweg schal, wie auch die Volte betreffend die finanzielle „Ungleichbehandlung“ von Tests im Zusammenhang mit einer ethischen Grundfrage betreffend eine Entscheidung über Leben oder Tod von Kindern.
Das reiht sich ein in die inzwischen zur Regel gewordenen evangelischen Verleugnungen des göttlichen Gebots.
Die US-amerikanische Pfarrerin Nadia Bolz-Weber (Denver), Ehrengast auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin, plädiert für das Recht auf Abtreibung, denn der Mensch sei erst schützenswert, wenn er selbstständig zu atmen beginne.
So hebt sich der gegenwärtige katholische Papst – so umstritten er manchem Traditionalisten erscheint, so progressistisch er dem Mainstream anmutet – davon ab, wenn er konstatiert, dass Abtreibung kein Menschenrecht ist.
Erinnern wir uns, was Franziskus sagte und einen Sturm in den Medien und bei „christlichen Glaubensbrüdern“ auslöste:
„Aber wie kann ein Akt, der das unschuldige Leben […] unterdrückt, therapeutisch, zivil oder einfach menschlich sein … Ich frage Euch: ist es gerecht, jemanden umzubringen, um ein Problem zu lösen? Das kann man nicht machen, es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringen, auch wenn er klein ist. Es ist, wie einen Auftragsmörder zu mieten, um ein Problem zu lösen.“
Die Politiker fühlen sich berufen „Probleme zu lösen“.
Und dann machen noch Kirchenvertreter bei solchen Unbehagen bereitenden „Problemlösungen“ prospektiv mit.
Nicht der katholische Papst, der dazu sagt:
„Im vergangenen Jahrhundert hat sich die ganze Welt über das aufgeregt, was die Nationalsozialisten machten, heute tun wir das mit weißen Handschuhen“.
In dem jüngsten Buch von Alexander von Schönburg – im Kapitel „Mut“ – fand ich folgenden Satz, der mir in Bezug auf die – nicht erfolgte oder ausstehende – Ethikdebatte zu dem Thema treffend erscheint:
„Wenn ein Bundestagsabgeordneter heute aufstehen und es beklagen würde, dass neun von zehn Embryonen, bei denen ein Down-Syndrom diagnostiziert wird, abgetrieben werden, er würde Mut beweisen, weil er damit jede Aussicht auf eine weitere politische Karriere verwirkte.“
Da fragt man sich wirklich, in welcher Gesellschaft leben wir?
In einer heuchlerischen.