Wohin treibt die Bundesrepublik?

Wir wollen eine neue Ordnung,
die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht
und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt“
Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Juli 1944

„Wohin treibt die Bundesrepublik?“ lauteten vor 50 Jahren die Frage und der Titel einer heftig umstrittenen Schrift von Karl Jaspers.
Man braucht keinem der Leser hier erläutern, warum diese Frage 2017 uns wieder drängend erscheinen muss – einem „überlebenden“ und nachdenkenden Beobachter meiner Generation mehr als noch 1966.

Karl Jaspers schrieb damals.:

Der Bevölkerung der Bundesrepublik geht es wirtschaftlich so gut wie noch nie, mit Ausnahme der Schlechtweggekommenen, von denen man selten spricht. Es herrscht eine Zufriedenheit im Eifer des Lebensgenusses bei ständig geringer werdender Arbeitszeit und Vermehrung der Konsumgüter, der Reisemöglichkeiten und Vergnügungen.
Trotzdem gibt es eine Unruhe. Ist dies Leben auch sicher? Man fürchtet. Die Denkenden sehen die politische Faktizität mit Sorgen. Wohin treiben wir?
Die Demokratie der Bundesrepublik wandelt sich vor unseren Augen. Es werden Wege beschritten, an deren Ende es weder eine Demokratie noch einen freien Bürger geben würde, vielleicht ohne daß die, die sie gehen, dieses Ende wollen. Diese Wege sind nicht unausweichlich. Aber nur ein zur Freiheit drängendes, seiner selbst darin bewußtes Volk kann die Demokratie in freier republikanischer Verfassung, die bisher nur eine Chance ist, verwirklichen.

Auf Spiegel-Online kann man eine Zusammenfassung der wichtigsten Gedanken aus Jaspers´ Schrift nachlesen. Die Lektüre der gesamten Schrift* liefert für den historisch Interessierten ein weiteres Mal Einsichten nicht nur in das sich selbst zerstörende demokratische System der Bundesrepublik. Viele der Gedanken muten denn heute auch fast hellseherisch an.
Indes hat Jaspers seinerzeit mit seinem Bestseller viel Widerstand hervorgerufen, vor allem unter den an Parteien fixierte Politikern. Erhard Eppler, damals schon längere Zeit Bundestagsabgeordneter für die SPD übte in der ZEIT heftige Kritik mit bis hin zu ehrenrührigen Schmähungen. Heute würde der später so gern moralisierende „Pietkong“ der SPD sicher anders argumentieren. Die damals „ungeheuerlich anmutenden negativen Prognosen“ (Kurt Sontheimer) haben sich in weiten Teilen erfüllt.
Gerade die moralische Rigorosität von Jaspers, mit der er die „demokratischen“ Politiker und die bundesrepublikanische Demokratie maß, könnte auch heute noch nicht nur nüchterne und aufgeklärte Beobachter der Situation in eine Stimmung zur Gegenrede bringen.

Kurt Sontheimer* in einem Vorwort zu Jaspers` Schrift:

Es war ein aristokratisches, die höchsten Ansprüche und Tugenden verkörperndes Idealbild des demokratischen Politikers, an dem er die so viel schäbigere, nichtigere Wirklichkeit des Politischen, insbesondere des parteipolitischen Betriebes, maß.

Dieser Anspruch brachte wohl Karl Popper dazu, in seiner Schrift „Die Feinde der offenen Gesellschaft“ neben Plato, mit dessen Prätention nach einer „Regierung der Weisesten“, auch Jaspers zu diskreditieren.

Wie würde heute das Urteil beider Philosophen über die Bundesrepublik mit unserer Merkel-Demokratie lauten?

Die Parteien

Die Parteien, die keineswegs der Staat sein sollten, machen sich, entzogen dem Volksleben, selber zum Staat. Ursprünglich vielfach autonome Bildungen aus der unbegrenzten Freiheit des Volkes, werden sie in ihrem Bewußtsein zu den Machtträgern selber. Der Staat, das sind die Parteien. Die Staatsführung liegt in den Händen der Parteienoligarchie. Sie usurpiert den Staat.

Nur ein Symptom dafür, daß die Parteien, statt dem Staat zu dienen, selbst die Staatsherrschaft ergreifen, sich mit dem Staat identifizieren, ist das in der Bundesrepublik erst später aufgetretene Phänomen der Parteienfinanzierung durch den Staat. Die Parteien zeigen damit an, daß die Staatskasse ihre Kasse ist, die Steuergelder etwas, worüber sie nicht nur für Staatszwecke, sondern auch für sich selbst durch Parlamentsbeschluß verfügen.

Parteienoligarchie … heißt: Verachtung des Volkes. Sie neigt dazu, dem Volke Informationen vorzuenthalten. Man will es lieber dumm sein lassen. Das Volk braucht auch die Ziele, die die Oligarchie jeweils sich setzt, wenn sie überhaupt welche hat, nicht zu kennen. Man kann ihm statt dessen erregende Phrasen, allgemeine Redensarten, pompöse Moralforderungen und dergleichen vorsetzen. Es befindet sich ständig in der Passivität seiner Gewohnheiten, seiner Emotionen, seiner ungeprüften Zufallsmeinungen.

Die Kritik von Karl Jaspers an der Parteiendemokratie hat später ein Liebling des politischen und intellektuellen Establishments der BRD aufgenommen: Richard von Weizsäcker. Der ehemalige Bundespräsident bezeichnete in einem Interview mit der ZEIT 1992 die deutschen politischen Parteien als „machtversessen und machtvergessen“. Seine Fundamentalkritik an den bundesrepublikanischen Verhältnissen – damals kurz nach der Wiedervereinigung – ist auch in einem Buch aus dem Eichborn-Verlag nachzulesen („Richard von Weizsäcker im Gespräch“, Frankfurt 1992).
In wesentlichen Dingen unterscheidet sich seine Kritik in keiner Weise von der von Jaspers. Es blieb nicht aus – was bei der grassierenden Geist- und Charakterlosigkeit der jüngsten Repräsentanten unseres Staates denn nicht verwundert – dass sein Nachfolger Joachim Gauck glaubte, sich von Weizsäcker distanzieren zu müssen.

Für diejenigen, denen ich hier zu wenig konkret in der notwendigen Aufrechnung der offensichtlichen Sünden und Verfehlungen der aktuellen Politik bin, darf ich auf eine aufschlussreiche Artikelserie auf Conservo hinweisen: „Die 17 politischen Todsünden der Kanzlerin“. Todsünden nicht nur der Kanzlerin, sondern des Systems, welches sie repräsentiert.

Sicherheit und Bürgerkrieg

Es besteht, soweit man sieht, kein Plan zur Errichtung einer Diktatur. Es gibt keine zielbewußte Lenkung dorthin, keine Organisation, keinen Hitler. Aber es koinzidieren Kräfte, Gesinnungen, Wege, die dorthin führen können.

Das Modalverb „können“ darf man inzwischen aus dieser Aussage von Jaspers streichen. Weiter:

Sicherheit hat in der Demokratie eine elementare Grenze. Die Sicherheit besteht solange, wie bei Uneinigkeit das Mehrheitsprinzip gilt. Nur wenn sich jeweils die Minorität der Majorität fügt, mit dem Vorbehalt, durch weitere Überzeugung die Majorität zu ändern, kann Gewalt ausgeschlossen werden. Ohne das Mehrheitsprinzip gibt es keine funktionierende Demokratie.
Wie aber, wenn bei dieser Abstimmung die Mehrheit die Demokratie das Mehrheitsprinzip selber abschafft? Wenn die Mehrheit einer Minderheit, die sich »Avantgarde«, Elite, Partei nennt, die unbeschränkte Herrschaft überträgt? Wenn die Grundrechte, die nach unserem Grundgesetz jeder Änderung und auch einer späteren Abstimmung entzogen sind, durch Mehrheit abgeschafft werden? Wenn durch die Freiheit der Abstimmung die Freiheit selber vernichtet wird?
Wenn man nicht mehr miteinander reden kann, wenn der republikanische Weg des Sichüberzeugens und der Entwicklung der Dinge durch ein Miteinander- und Gegeneinanderreden der in legalen Formen kämpfenden Mächte aufgehoben wird, wenn Politik im eigentlichen Sinne aufhört, dann bleibt Selbstpreisgabe (Ermächtigungsgesetz 1933) oder Bürgerkrieg.
Gegen die Freigabe der Gewalt an eine absolute Herrschaft kann nur noch die Gewalt ein Schutz sein. Soll eine Minorität verzichten, wenn die Majorität die irreversible Gewalt über sie errichten, sie vernichten will? Ein Volk, das in solchem Falle nicht den Bürgerkrieg der Unfreiheit vorzieht, ist kein freies Volk. Nur der Bürgerkrieg kann in solcher Lage die angemessene Entscheidung bringen. Unterliegt dann die Freiheit, statt von vornherein auf sie zu verzichten, hat das Volk durch seine Minorität wenigstens bezeugt, was es seinem Wesen nach ist und sein könnte.

Grenze der Sicherheit ist dort, wo die Freiheit durch falsche Freiheit selber vernichtet, wenn Gesetzlichkeit durch Gesetz aufgehoben werden soll. Die menschlichen Dinge gestatten keine absolute Sicherheit. Freiheit kann sich nur durch Freiheit im Risiko behaupten. Wer absolute Sicherheit will, will die Unfreiheit und den politischen Tod.
Der Wille zur absoluten Sicherheit drückt eine Gesinnung aus, die die Wirklichkeit des menschlichen Daseins nicht anzuschauen wagt, nicht in das Antlitz der unerbittlichen Gorgo blicken, sondern sie als nicht vorhanden ignorieren möchte.

Kann sich irgendwer erinnern, dass in der Bundesrepublik jemals Bürgerkrieg „gedacht“ wurde?
Heute bewegen wir uns mehr, als es 1966 denkbar war, auf eine solche Option zu, erwachsen aus der Überfremdung, der Überflutung des Landes mit Menschen, die unserer Kultur, unserem Verständnis von Freiheit und schon unseren einfachsten Verhältnissen in der Lebenswelt fremd, wenn nicht feindlich gegenüber stehen.

Die Thesen von Karl Jaspers muten inzwischen – trotz oder gerade wegen der negativen Rezensionen damals und heute – wie das berühmte Menetekel aus dem „Buch Daniel“ an: Als eine unheilverkündende Warnung, einen ernsten Mahnruf und Vorzeichen drohenden Unheils, das Gott dem König Belšazar als Ankündigung seines baldigen Todes und Untergangs seines Königreiches überbracht haben soll.

Was man bei der Botschaft von Jaspers nicht vergessen sollte, die Gefahr entstand in erster Linie aus dem Inneren heraus, indem man den Feind unkontrolliert ins Land eindringen ließ. Aktiv befeuert durch die höchsten politischen Repräsentanten unserer Parteiendemokratur.

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6 Antworten zu Wohin treibt die Bundesrepublik?

  1. Bürgerkrieg ist in diesem Zusammenhang wahrscheinlich ein falscher Begriff. Bürgerkrieg bedeutet Bruderkrieg, Krieg innerhalb eines Volkes oder zumindest eines Staatsvolkes. Dies wird nicht gedacht.
    Krieg von eingeschleusten Fremdvölkern gegen das seit altersher ansässige Volk ist etwas das durchaus gedacht werden kann und worauf wir uns zu bewegen.
    Wie man einen solchen Krieg nennen könnte, weiß ich nicht.

    • altmod sagt:

      Laut Brockhaus-Enzyklopädie heißt „Bürgerkrieg, mit Waffen ausgetragener Machtkampf streitender Parteien innerhalb eines Staates, häufig ausgeweitet durch das Eingreifen auswärtiger Mächte zugunsten einer Partei.“ „Bruderkrieg“ ist damit zu eng gefasst. Die Verhältnisse sind ja inzwischen so, dass nicht mehr von (einem) Volk (oder Staatsvolk) gesprochen wird, sondern in der Merkel-Terminologie von „Bevölkerung“ und von „Menschen, die schon länger hier leben“ im Gegensatz zu denen, die man jüngst eingeladen hat, hier zu leben. Man wird die drohenden (bewaffneten) Auseinandersetzungen also durchaus als „Bürgerkrieg“ bezeichnen müssen.
      Wer wird aufstehen? Die schon länger hier leben?
      Staatsrechtlich werden die Aufständischen auch künftig sicher als Hochverräter gelten, es sei denn, man billigt denen das eigene, entlastende, z.B. islamische Rechtsverständnis zu, wie es im Strafrecht schon Übung geworden ist.
      Völkerrechtlich ist es kein „Krieg“, sondern eine „innere Angelegenheit“ des Staates.
      Thorsten Hinz zitiert in seiner Schrift „Zurüstung zum Bürgerkrieg“ den (linken) Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der 1993 „den Deutschen seine Aussichten auf den Bürgerkrieg enthüllt hat. Dieser werde in Europa als »molekularer Bürgerkrieg« beginnen. Seine winzigen stummen Kriegserklärungen seien zunächst unblutig und harmlos: »Allmählich mehrt sich der Müll am Straßenrand. Im Park häufen sich Spritzen und zerbrochene Bierflaschen. An den Wänden tauchen überall monotone Graffitti auf, deren einzige Botschaft der Autismus ist: sie beschwören ein Ich, das nicht mehr vorhanden ist. In den Schulzimmern werden die Möbel zertrümmert, in den Vorgärten stinkt es nach Scheiße und Urin.« Die nächste Stufe ist die physische Aggression. Der Rest der Bevölkerung wird mundtot gemacht und ein rechtsfreier Raum entsteht, wo Zensur, Angst und Erpressung herrschen.“
      Betrachtet man diese Aufzählung, ist es soweit, bzw. fünf Minuten vor Zwölf.

      • Den Brockhaus in allen Ehren aber diese Situation ist neu und Bedarf meiner Meinung nach eines eigenen Begriffes.

        Die Frage mag unwichtig erscheinen, ist es aber mitnichten. Bürgerkrieg wird nicht gedacht und für unwahrschienlich gehalten. Dies kann man in vielen Gesprächen mit Deutschen feststellen. Was aber nicht für unwahrscheinlich gehalten wird, ist dass diese Burschen eines Tages „frech“ werden und UNS „auf´m Kraut fressen.“ Sprich an die Wand drücken.
        Vielleicht kann von Aufständen gesprochen werden, als von Bürgerkrieg. Wobei Aufstand auch nicht ganz richtig ist.
        Es ist wichtig den richtigen Begriff zu finden. Will man warnen, muss richtig gesendet werden.
        Vielleicht beschreiben es die Amis am besten, wenn sie von Zombies sprechen. Wobei dies bei uns auch wieder nicht auf fruchtbaren Boden fallen wird.

  2. Pingback: 5 vor 12 zum Bürgerkrieg? | Grüselhorn

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  4. Burkhard Malotke sagt:

    Meiner Menung nach geht es bei diesem bereits real existierenden gesellschaftlichen „Krieg“, um real bestehende Ziele, Verhältnisse. Das sind einerseits bestehende Machtstrukturen und -verhältnisse, andererseits ideale Ergebnisse der vorhandenen weltanschaulichen Überzeugungen und Strömungen, beide entsprechen nicht den theoretischen Idealen der Demokratie. Letzlich wird die Entscheidung nicht die Frage Demokratie oder Diktatur, sondern Macht sein, möglicherweise eine (bereits existierende) „Demokratur“?

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