Warum Nietzsche nicht in die Füchsleinstraße kam

Die Füchsleinstraße: eine der ersten Adressen in Würzburg – für Leute in gewissen Geisteszuständen.
Wir wissen, dass Friedrich Nietzsche, eines der deutschen Genies, in „geistiger Umnachtung“ endete. Kaum jemand weiß aber, daß Nietzsche auch in Würzburg weilte -für einen Tag.
Nietzsche kam 1873 nach Würzburg, um sich hier nach einem neuen Domizil umzuschauen. Er war noch in seinem Amt als Professor der klassischen Philosophie in Basel, spürte aber wohl schon das Schwinden seiner körperlichen und geistigen Kräfte.
Der Psychiater Wilhelm Lange-Eichbaum hat sich intensiv mit der Krankengeschichte Nietzsches beschäftigt. In seinem Bulletin listet er auf, daß Nietzsche sich 1865 wohl mit der Syphilis infiziert hatte und schon 1873 bei ihm Vorboten der sogenannten Tertiären Hirnsyphilis nachweisbar waren.
Da seine Gesundheit sich deutlich verschlechtert hatte, wollte sich Nietzsche in ruhigere Verhältnisse zurückziehen. Seine Wahl fiel auf die Universitätsstadt Würzburg mit ihren prachtvollen Kunstbeständen und den reichen Bibliotheken etc.
Mit seiner Schwester Elisabeth fuhr er also nach Würzburg.
Im Bahnhof angekommen, stellte er seinen Koffer im Wartesaal ab und machte sich zur Erkundung der Stadt auf. Mit einer Droschke führ er zunächst zum „Letzten Hieb“ und bewunderte von dort das Panorama der herrlichen Stadt. Dann fuhr er zum Kranen, spazierte am Main entlang und speiste im „Schwan“. Alles gefiel ihm: Stadt, Festung, Mainviertel mit St. Burkard, die Promenaden, und so fuhr er zum Bahnhof zurück und war wohl schon zum Entschluss gekommen, Würzburg als seinen Alterssitz zu wählen.
Als er den Wartesaal des Bahnhofs betrat, war sein Koffer verschwunden. Alle bemühten Geister konnten ihn aber nicht mehr beibringen. Der Stationsvorstand – verärgert – erklärte ihm, dass er hier nicht in der Schweiz sei, und eigentlich könne man nirgendwo einen neuen und so eleganten Koffer für Stunden unbeaufsichtigt herumstehen lassen. Nietzsche musste schließlich auf den Bahnsteig, wollte er nicht den Zug versäumen. Dem Beamten blieb dann nichts weiteres übrig, als sich stellvertretend für ganz Würzburg folgende Bemerkung anzuhören:
„Wo man keinen Respekt vor fremden Eigentum hat und meine Wäsche stiehlt, da würde man mir auch mein Ruhe und meine Gedanken stehlen. Ich habe diese Stadt für moralischer gehalten.“*
Sprachs und kam nie mehr wieder.
Der Philosoph kehrte nach Basel zurück und musste sich schließlich 1879 aus gesundheitlichen Gründen pensionieren lassen. Die nächsten 10 Jahre war er viel unterwegs und schrieb etliche seiner bekanntesten Werke.
1889 erlitt er in Turin den endgültigen Zusammenbruch und ein Freund brachte ihn ins Irrenhaus nach Basel. Von dort wurde der inzwischen geistig vollständig Umnachtete von seiner Mutter in die Psychiatrische Universitätsklinik in Jena gebracht, die damals unter der Leitung des berühmten Nervenarztes Otto Binswanger stand.
1890 durfte die Mutter ihn in ihrem Haus in Naumburg unterbringen. Nach deren Tod pflegte ihn seine Schwester in Weimar, wo er auch im August 1900 starb.
Hätte nun Nietzsche seinen Alterssitz in Würzburg genommen, ist gut vorstellbar, dass er  in der hiesigen Nervenheilanstalt, in der „Füchsleinstraße“ unter universitärer, akademischer Aufsicht gelandet wäre, hätte es denn diese Einrichtung schon gegeben.
Erst 1893 wurde die Würzburger „Nervenklinik“ vom Juliusspital in den Neubau in die Füchsleinstraße verlegt.
Nietzsche wäre denn möglicherweise in Werneck gelandet.
Die Heil- und Pflegeanstalt** Werneck wurde schon 1855 gegründet; König Max II. von Bayern überließ das Schloss Werneck der damaligen Kreisgemeinde Unterfranken zur Errichtung einer Kreisirrenanstalt. Vorausgegangen war ein Beschluß des Bayerischen  Landtags, eine möglichst flächendeckende (!) stationäre psychiatrische Versorgung aufzubauen. Der erste Direktor war Dr. Bernhard Gudden, der spätere „Leibarzt“ von König Ludwig II. von Bayern. Beide wurden unter mysteriösen Umständen im Starnberger See tot aufgefunden. Auch Gudden hatte in der Schweiz Karriere gemacht – als Psychiater.
Weil Bahnbeamte und Ordnungskräfte in Würzburg 1873 einen Kofferdiebstahl nicht verhinderten, kam die Stadt um einen weltberühmten Bürger und Werneck oder die Füchsleinstraße um einen illustren Insassen.

G.E.

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* Das soll verbürgt sein laut Werner Dettelbacher („Würzburger Anekdoten“).
**  Der Franke sagt deshalb für eine Irrenanstalt „Hupfla“