Erlebnisse in einem fränkischen Gasthof
1953 – 1963
Geschichten, Erlebnisse und Personen aus der Kindheit und Jugend kommen uns, je älter wir werden, immer mehr wie eine Erzählung von der „guten alten Zeit“ in den Sinn. So entstand die Idee, manche mich nachhaltig verfolgenden Begebenheiten und Begegnungen in meinem zeitweiligen Zuhause, dem „Gasthof Goldener Stern“ in Pegnitz, zu Papier zu bringen. Es geht eigentlich nur um zehn Jahre, sie haben aber in der Rückschau eine besondere „Erlebnisqualität“.
Der „Goldene Stern“, Gasthof und Metzgerei, war damals eine Institution in Pegnitz.
Zunächst etwas zur Historie und „Topographie“.
Gegründet wurde der Gasthof in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als die Eisenbahn von Nürnberg aus weiter in Richtung Hof und Mitteldeutschland vorgetrieben wurde.
Der Stern liegt am „Bahnhofsteig“, denn seine Erbauung hängt unmittelbar mit der Eisenbahn zusammen und er sollte von der jetzt einsetzenden Industrialisierung von Pegnitz profitieren. Die Stadt – das „Kaff“, würde man vielleicht heute sagen – hatte das Glück, direkt an einer der wichtigsten Bahnlinien in Bayern und im Reich gelegen zu sein. Sie wurde dann sogar Schnellzughaltestelle, was die so viel berühmtere, benachbarte „Wagnerstadt“ Bayreuth im Übrigen niemals erreicht hat. Bis 1967, als das Eisenerz-Bergwerk endgültig geschlossen wurde, gingen tagtäglich gewaltige Güterzüge mit Erz zur Verhüttung nach Linz von Pegnitz ab.
Schnellzüge, Güterzüge, „Bockelzüge“, Triebwagen: all das rauschte oder zockelte unmittelbar am Stern vorbei: „Bahnhofsteig 1“ die Adresse!
Wer vom Bahnhof kam, von der AMAG, dem Bergwerk oder von der Post seinen Weg in die Stadt nahm oder weiter in die „Siedlung“ musste, kam am Stern vorbei. Man ging noch zu Fuß von der Arbeit nach Hause und fast alle liefen durch die Unterführung am Bahnhofsteig, die heute noch wie ein finsteres Loch unter den Bahngleisen durchführt – gleich vor oder neben dem Sterngarten – einem reizvollen Biergarten mit alten Lindenbäumen. Zum Sterngarten gehörte damals eine alte Laube, die nur durch einen Zaun von den Bahngleisen getrennt lag. Die Funktion als überdachten Freisitz des Biergartens hatte diese Laube schon lange wegen ihrer Baufälligkeit verloren und diente nur noch als Lager für die Biergartenmöbel und für manches Gerümpel.
Der Stern war jahrzehntelang das Arbeiterlokal von Pegnitz: Versammlungs- und Tagungslokal der SPD und bei Bedarf das Streiklokal der Gewerkschaft, denn im Vorderhaus befand sich etliche Jahre das Büro des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Außerdem war er Stammlokal vieler Vereine, ehe das Aufkommen der Vereinsheime – der Schützen, des ASV und des FC – der eingesessenen Gastronomie Probleme bereiten sollte.
Gegenüber dem Stern hatte die „Hammerand-Else“ ihren Milchladen. Dann weiter hinten, jenseits der „Schleifers-Wiese“ lag das Kalkwerk der Firma Wiesend. Zum Wiesend-Areal gehörte auch ein Bauernhof, den die Familie Schleifer, Flüchtlinge aus Schlesien gepachtet hatten. Links am Bahnhofsteig in Richtung Stadt, nach dem Wohnhaus der Familie Wiesend lag das Amtsgericht und dann wieder rechts gegenüber das Forstamt. An das Amtsgericht schloss sich die Kolonialwarenhandlung der Horvaths an und im Hintergebäude führte der der damalige, erste Chefarzt des Krankenhauses, Dr. Mauelshagen, seine Praxis. Die Horvaths – Heimatvertriebene wie meine Eltern – hatten erst ihr Geschäft in dem Kiosk gegenüber der AMAG-Pforte, vor oder hinter der großen Wiese – wie man es betrachtet – welche später zum KSB-Parkplatz wurde. In dem Kiosk hatte auch der „Wagners Kunz“, „Schnell-Bader“ genannt, seinen Salon.
Zugegeben, da bin ich etwas abgeschweift, denn eigentlich geht es ja um den Stern. Trotzdem ist die Umgebung über den Bahnhofsteig hinaus auch wichtig.
„Gasthof mit Metzgerei“ war die Unternehmung, die meine Eltern nach Pegnitz brachte. Am 1. Januar 1953 kamen wir an. Ich durfte das erste Mal in meinem Leben in einem Lastwagen mitfahren, auf dem Beifahrersitz eines Bierautos der Brauerei Knopf. Das lenkte mein Onkel, der „Reiniger-Sepp“, mein Vater hatte zu der Zeit noch keinen Führerschein. Mit dem Bierlaster wurde der bescheidene Hausrat unserer Familien aus Ansbach nach Pegnitz verfrachtet.Vorher hatten meine Eltern fünf Jahre lang den „Goldenen Apfel“ geführt, ein „Traditionsgasthaus“ in Ansbach, an dem gewaltig der Zahn der Zeit genagt hatte.
Der allererste Eindruck, den ich vom Stern und Pegnitz hatte, war grau und düster und gar nicht einnehmend. Für meine damaligen Begriffe war der Stern ein Riesenhaus mit unendlich vielen Kammern und vielen fremden Leuten darin. Die Gaststube mutete düster und schmucklos an, das Nebenzimmer – der „Saal“ – glich eher einem Stall. Und unter dem Dach wohnten noch Leute, die eigentlich ihre Wohnung schon längst für uns hätten räumen müssen. Doch der anfängliche negative Eindruck legte sich rasch. Wir kamen in Kontakt mit vielen freundlichen und aufgeschlossenen Leuten und für einen Jungen war das Haus und das ganze Anwesen ein regelrechter Abenteuer-Spielplatz.
Mit Hilfe der Brauer-Familie Knopf wurde das Anwesen renoviert. Durch die Anstrengungen meiner Eltern und Großeltern und das Wohlwollen vieler Pegnitzer wurde der Stern damals zu einer bekannten und guten Adresse.
Was sich in diesen Jahren – von meinem fünften bis zum 15. Lebensjahr – an amüsanten Dingen ergab, erzähle ich in den „Sterngeschichten“. Ich will von Typen und Originalen, von Lustigem und vielleicht auch Traurigem, von Aufbruch und Beständigem berichten.
Gottfried Ebenhöh