von Elias Canetti
Der Hinterbringer mag nichts für sich behalten, was einen andern kränken könnte. Er beeilt sich und kommt anderen Hinterbringern zuvor. Manchmal ist es ein bitteres Rennen, und obwohl sie nicht alle vom gleichen Punkt losgehen, spürt er, wie nah die andern schon sind und überholt sie in riesigen Sprüngen. Er sagt es sehr rasch und es ist ein Geheimnis. Niemand darf davon erfahren, daß er es weiß. Er erwartet Dankbarkeit und sie besteht in Diskretion. »Ich sag’s nur Ihnen. Es geht nur Sie etwas an.« Der Hinterbringer weiß, wenn eine Stellung bedroht ist. Da er sich so rasch fortbewegt, er beeilt sich sehr, wächst die Bedrohung auf dem Weg. Er kommt an und es ist schon ganz sicher. »Sie werden entlassen.« Der Betroffene erbleicht. »Wann?« fragt er und »Wieso? Man hat mir nichts gesagt.« »Man hält es geheim. Man wird es Ihnen im allerletzten Augenblick sagen. Ich mußte Sie warnen. Verraten Sie mich aber nicht.« Dann hält er eine ausführliche Rede darüber, wie furchtbar es wäre, wenn man ihn verriete, und während das Opfer noch keine Zeit hatte, die eigene Gefahr ganz zu ermessen, fühlt es schon Mitleid mit dem Hinterbringer, diesem besten Freund.
Der Hinterbringer läßt sich keine Beleidigung entgehen, die im Zorn geäußert wurde und sorgt dafür, daß sie den Beleidigten erreicht. Weniger gern hinterbringt er Lob, aber um zu beweisen, wie gut er gesinnt ist, zwingt er sich bisweilen dazu. In solchen Fällen beeilt er sich nicht und zögert noch an Ort und Stelle. Das Lob liegt ihm wie ekles Gift auf der Zunge. Bevor er es ausspuckt, glaubt er zu ersticken. Schließlich sagt er’s, aber sehr keusch, als hätte er Scheu vor der Nacktheit des Andern.
Sonst kennt er weder Scham noch Ekel. »Sie müssen sich wehren! Sie müssen etwas tun! Sie können das nicht einfach hinnehmen!« Er berät den Betroffenen gern, schon weil es länger dauert. Seine Ratschläge sind so, daß sie die Angst des Opfers vergrößern. Es ist ihm ja nur um das Vertrauen der Menschen zu tun, ohne Vertrauen kann er nicht leben.
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