Gerd-Klaus Kaltenbrunner und das „alte Europa“

Geboren am 23. Februar 1939 in Wien, starb er am 12. April 2011 in Lörrach.
Er war Philosoph, humanistischer Schriftsteller, Ideenhistoriker, Essayist und Publizist.
„Gerd-Klaus Kaltenbrunner war einer wenigen deutschen Rechtsintellektuellen von hohem geistigem Rang, auch ein „Meister des belletristischen Essays“ – schreibt Pirmin Meier bei kath-info.

Auf diesem Blog ist ihm ein eigener Bereich mit eigenen Seiten gewidmet:
„Vom Geist Europas“.
So lautet der Titel seiner zweiten der dreibändigen Essay-Sammlungen mit „ideengeschichtlichen, biographischen und kulturphysiognomischen Essays und Studien“ zu Europa – dem Abendland, wie er es verstand.
Diese großartigen Essay-Sammlungen „Europa – Seine geistigen Quellen in Porträts aus zwei Jahrtausenden“ und „Vom Geist Europas – Sternbilder, Schattenrisse, Spiegelungen“ sind leider nur noch antiquarisch zu erhalten.

Lassen wir ihn selbst in seinem Geleitwort zum 3. Band „Vom Geist Europas“ zu Wort kommen:

Wie bisher habe ich mich von einer vielleicht niemals begrifflich vollständig festgelegten, jedoch deshalb keineswegs dunkel verworrenen Idee leiten lassen: Europa. Dieses Inbild „okzidentalischen“ Wesens begleitet mich zeit meines zum Denken erwachten Lebens: die Vision eines Hauses mit vielen Wohnungen, eines Domes mit vielen Kapellen, eines Lebensraumes oder einer „oikia“ mit vielen Gebieten, Nischen und Höhenstufen. Es ist dies ein anderes Europa als der halb euphorisch begrüßte, halb fatalistisch hingenommene Binnenmarkt gleichen Namens. Das Abendland, in dem ich mich beheimatet weiß, ähnelt — um es drastisch zu sagen — eher noch dem fernen Polynesien als jenem nahen, aber antlitzlosen Monster, das von überheblichen Kommissionen und Konzernen entworfen, verwaltet und vorangetrieben wird. Der gigantomanischen Vermessenheit dessen, was in einem wohlgeordneten Gemeinwesen nur subalternsten Rang innehaben könnte, halte ich unbeirrt die Urgestalten und Denkmale europäischen Schöpfergeists und Überlieferungssinns entgegen. Bildlich gesprochen: Das alte Prag, Riga, Krakau und Kiew stehen mir näher als das neue Brüssel. Den Spott, ein Don Quijote sei, wer die Übermacht des Technokratischen, Ökonomischen und Administrativen in die Schranken fordere, fürchte ich sowenig wie vor zwanzig Jahren die Schelte des „Konservativen“…

Von 1974 bis 1988 gab Gerd-Klaus Kaltenbrunner im Herder-Verlag die Taschenbuch-Reihe „Initiative“ heraus. Es war eines der wichtigsten Sprachrohre neokonservativen Denkens, ein vorzügliches publizistisches Projekt, welches in dieser Art heute schmerzhaft vermisst wird. Die „Initiative“ war das konservativ-intellektuelle Gegenstück zu den publizistischen Vorzeigeprojekten der linken Kulturrevolution.
Der Historiker Peter Berglar urteilte über ihn:

„Kaltenbrunner stellt den Typus des hochgerüsteten intellektuellen Einzelkämpfers dar, der nicht zum ‚Rundumangriff‘ übergeht. Seine Rüstung: imponierende universale Bildung, geschliffene Feder, differenzierende Rationalität am Zügel von Ethos und Gewissen sowie persönlicher Mut.“

Die linken Kulturrevolutionäre konnten solches in ihrer bekannten „Toleranz“ nicht hinnehmen. Beispielgebend war denn dafür der folgende Vorgang: Ende der 80er Jahre hatte die Bundeszentrale für politische Bildung erwogen, einen Teil der Auflage der Bände „Vom Geist Europas“ aufzukaufen und dann kostenlos Lehrern, Professoren und Journalisten zur Verfügung zu stellen. Publikationen, welche die Bundeszentrale in ihre Publikationsverzeichnisse aufnimmt, erregen natürlich mehr Aufmerksamkeit und können Auflage und Bekanntheit steigern. Da „Vom Geist Europas“ jedoch im MUT-Verlag von Bernhard W. Wintzek verlegt worden war, rief das die publizistischen, politischen und kulturellen Blockwarte auf den Plan mit einem infamen Artikel versuchte die ZEIT denn auch das Projekt, Verfasser und Verleger in echter „antifaschistischer“ Aufwallung mit Dreck zu bewerfen.

Kaltenbrunner lebte in seinen letzten Lebensjahren sehr zurückgezogen, fast wie ein Einsiedler, wurde zum Mystiker und beschäftigte sich ausschließlich mit religiösen Dingen. Seither publizierte er auch nichts mehr. Martin Johannes Grannenfeld bezeichnete ihn in seinem Nachruf bei ef als „Lichtmystiker und Gegenwartsverweigerer“.

Diesem „Gegenwartsverweigerer“, großartigen Essayisten und Philosophen, habe ich für meine geistige Gewissheit und Verfassung viel zu verdanken.