Priester, Dichter und Streiter wider Hexenwahn
Im Jahre 1793 wurde zum letztenmal im deutschen Sprachraum — im damals preußischen Posen — eine Frau als Hexe verbrannt. In Würzburg hatte man 1749, im Geburtsjahr Goethes, eine siebzigjährige Nonne wegen Hexerei zum Tode verurteilt; sie hatte sich verdächtig gemacht, weil sie, entgegen dem Gebot der Oberin, in ihrer Klosterzelle Katzen hielt und seltene Kräuter sammelte. 1751 waren noch im badischen Weinort Endingen, 1755 in Kempten und 1782 im schweizerischen Kanton Glarus der Zauberei, Besessenheit und Teufelsbuhlschaft beschuldigte Frauen hingerichtet worden.
Wann in Österreich die letzte Hexe ihren martervollen Tod fand, konnte ich leider nicht ermitteln. Das große zweibändige „Österreich-Lexikon“, herausgegeben von Dr. Richard Bamberger und Dr. Franz Maier-Bruck, aus dem Jahre 1966 schweigt sich dazu in vaterländischer Verschämtheit völlig aus. Stichworte wie, Aberglaube“, „Inquisition“, „Magie“ und „Zauberei“ fehlen darin ebenso wie „Hexen“, „Hexenprozesse“ und „Hexenverfol gungen“. Auf die Artikel „Heuriger“, „Heute“ (eine von 1958 bis 1962 erschienene sozialistische Kulturzeitschrift) und „Hevesi, Ludwig“ (1842 bis 1910, Reise- und Jugendschriftsteller) folgt unmittelbar „Heydenau, Friedrich“ (1886-1960, Offizier und Schriftsteller).
Wenig bekannt ist auch, daß der Hexenwahn in Liechtenstein grausam wütete. Ganze Familien waren dort im siebzehnten Jahrhundert mit Hilfe der Justiz ausgerottet worden, weil man Hexerei für erblich hielt. Allein in Vaduz, das damals ein winziges Dorf war, wurden in einem Monat vierzehn Menschen dieserhalb hingerichtet. Für Besucher des kleinen Fürstentums — des einzigen deutscher Zunge, das nach 1918 übriggeblieben ist — ist es jedoch nicht ratsam, gegenüber Einheimischen — es sei denn, es handle sich um sehr gute Freunde — dieses düstere Kapitel der Landesgeschichte zur Sprache zu bringen.
Hexenfurcht, Hexenwahn und Hexenverfolgung grassierten zwar auch in fast allen anderen Teilen Europas, besonders furchtbar jedoch im Deutschland des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, zur Zeit der Reformation, der Gegenreformation, der Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges und des wechselseitigen Vorwurfs der Ketzerei. Dem Hexenwahn waren keineswegs nur die sogenannten einfachen Leute verfallen, sondern vor allem auch die Gebildeten: Theologen, Juristen, Philosophen und Literaten. Es stimmt ja auch nachdenklich, daß er seinen Höhepunkt nicht im vorgeblich so finsteren Mittelalter erreichte, sondern erst in der beginnenden Neuzeit: in der Epoche des Humanismus, der Renaissance und des Barock, der Epoche der Entdeckung der Erde, der Revolutionierung der Astronomie und des sich durchsetzenden Rationalismus.
Über die tieferen geistes- und religionsgeschichtlichen Gründe der Hexenverfolgungen, ihren Zusammenhang mit Teufelsglauben, Dämonenfurcht und kirchlichem Fanatismus, aber auch dem verlangten Nachwirken germanischer wie antiker Mythen und Kulte, sind manche dicke und sehr gelehrte Bücher geschrieben worden. Trotz vieler erhellender Ergebnisse und Befunde lassen sie das Phänomen als solches in einem tieferen Sinne dennoch deutungslos. Das Grauen läßt sich nicht hinweg erklären. Die Konfessionen haben sich hier nichts vorzuwerfen. Katholiken und Protestanten haben in gleicherweise Hexen gefoltert und zum Tode verurteilt. Sie schreckten vor keiner noch so perversen Grausamkeit zurück, wenn es darum ging, einer unglücklichen Frau das Geständnis zu entlocken, sie habe mit dem Teufel geschlafen, Unzucht mit Menschen und Tieren getrieben, Gott gelästert, Hostien geschändet, Brunnen vergiftet, ihre Nachbarn und deren Vieh durch Gedanken und Blicke krank gemacht oder sogar getötet. Verdächtig war jede, die irgendwie aus dem Rahmen fiel. War eine Frau auffällig häßlich, dann wurde sehr schnell vermutet, daß sie eine vom Bösen besessene Seele habe. War sie sehr schön und womöglich noch rothaarig, dann stand sie ebenfalls unter dem Verdacht, mit der Hölle im Bunde zu sein. Denunziation galt als Christenpflicht; die sadistischsten Untersuchungsverfahren und Strafen drohten.
Aber auch wenn man annimmt, daß Menschen (und vor allem Männer) ihre Macht gern mißbrauchen und im Namen von Idealen, Dogmen oder Illusionen ihresgleichen zu töten grundsätzlich bereit sind, so konnte doch den fast durchweg akademisch gebildeten Richtern und Inquisitoren unmöglich entgangen sein, daß die durch gräßliche Foltern erpreßten Geständnisse der angeblichen Hexen als Grundlage für ein einigermaßen sachliches Urteil nichts taugten. Sie mußten doch wissen, daß beinahe jeder — sei er nun schuldig oder nicht — ab einem gewissen Grad von Tortur jedes Verbrechen zu gestehen bereit ist. Ein Richter oder Inquisitor konnte doch kaum so verblendet sein, nicht zu ahnen, daß auch er selbst, in ähnlicher Situation wie die von ihm gefolterten Hexen, die gleichen Sakrilege und Greueltaten bekannt hätte, um wenigstens für Augenblicke weniger Qualen erleiden zu müssen. Wenn eine entartete Justiz dennoch an der Tortur als vorgeblichem Mittel zur Wahrheitsfindung festhielt, dann offenbar wirklich aus einer ekelhaften und schrecklichen Lust heraus, andere zu quälen, zu erniedrigen und ihrer Würde zu berauben.
Das allein ist schon grauenhaft genug. Doch es kann nicht die einzige Triebfeder gewesen sein. Die andere war eine alles Göttliche und Menschliche wahnwitzig verhöhnende und den Geist des ursprünglichen Evangeliums diabolisch lästernde Theologie. Richter und Priester waren zu diesen Dingen imstande, weil sie darin geradezu eine Verherrlichung Gottes und sogar eine Wohl tat für die unsterbliche Seele der armen Hexe sahen. Besser, so schien es ihnen, ist noch ihre vorübergehende Folterung, die sie läutern und zur Gottesfurcht zwingen könne, als die ihr sonst drohende ewige Verdammnis in der Hölle.
In Deutschland wüteten, wie gesagt, die Hexenverfolgungen ganz besonders erbarmungslos und massiv. Um so mehr verdient in diesem Zusammenhang der Name eines Mannes genannt zu werden, der, ohne ein Psychiater, Mediziner oder Sozialreformer zu sein, sich gegen den ganzen Hexenwahn energisch gewandt hat: der deutsche Jesuitenpater Friedrich von Spee (1591-1635). Sein „Cautio criminalis“ (was frei übersetzt soviel bedeutet wie „Gerichtlicher Vorbehalt“ oder „Vorsicht bei Strafurteilen“) ist eines der humansten Bücher, die je geschrieben worden sind. Es ist eine mutige Mahnschrift gegen Hexenwahn und Folter, verfaßt von einem Mann, der kraft seines priesterlichen Amtes Beichtvater von wegen Ketzerei und Hexerei verfolgten Frauen war. Spee hatte Einblick in die Gerichtsverfahren der Hexenprozesse und er gelangte zu der ihn erschütternden Gewißheit, daß man hier wahnverblendet Schuldlose für schuldig erklärte und vernichtete: „Unter Eid kann ich bezeugen, daß ich bis jetzt noch keine verurteilte Hexe zum Scheiterhaufen geleitet habe, von der ich, unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, aus Überzeugung hätte sagen können, sie sei wirklich schuldig gewesen.“
Es spricht deutlich für die verworrene Zeit und die Bedrängnis, unter der auch Friedrich von Spee zu leiden hatte, daß das Buch dieses edlen, ebenso großherzigen und tapferen wie verstandesklaren und vernunftfrommen Jesuiten im Jahre 1631 bei einem protestantischen Verleger erscheinen mußte. Gewiß, der Priester-Dichter Spee hatte in seinem Kampf gegen den blutigen Hexenwahn einige Vorläufer und Verbündete: die Patres Laymann, Loos und Tanner, die Ärzte Agrippa von Nettesheim und Johann Weyer, die Juristen Molitor und Rade — evangelische wie katholische Christen. Dennoch gebührt dem in der Jesuitenkirche zu Trier begrabenen Friedrich von Spee der Ruhm, daß er folgerichtiger, beherzter und überzeugender als alle andern den sich christlich bemäntelnden kollektiven Irrsinn bekämpft hat. Der Philosoph Leibniz nannte mit Recht Spees „Cautio crimina lis“ „das männlichste Buch, das jemals der Feder eines Kämpfers für Wahrheit und Recht, gegen Lüge und Unrecht entflossen ist“.
Doch sogar jahrhundertelange Greuel haben es offenbar nicht vermocht, die „Hexen“ auszurotten. Im Zuge des seit etwa fünfzehn Jahren auf uns einbrandenden neuen Okkultismus und Mystizismus lebt das Hexenwesen allenthalben wieder auf: in den USA, auf den Britischen Inseln, in Frankreich und neuerdings, wie bekannt, auch in der Bundesrepublik Deutschland, hier vor allem im Schwarzwald und in Bayern. Sogar im sonnigen Italien rumort seit Jahren das Hexentum wieder. Gewisse okkultistische Kreise scharen sich um die altrömische Wald-, Mond- und Muttergöttin Diana, die man in geschichtlicher Zeit mit der griechischen Artemis gleichgesetzt hat. Sie gilt aber auch seit alters als Herrin nächtlicher Zauberei, der die nachtwandlerischen Dichter ihren sprichwörtlichen Wahnsinn verdanken, wie bereits Horaz berichtet (De arte poetica, Verse 453 ff). Sogar diesem kultur- und humanitätsgesättigten Boden entsteigt also spukhaft urälteste, lange verschüttete Magie, die Nachtseite apollinischer Latinität. Unvergeßlich gellt mir in den Ohren wider der verzückte Schrei eines in Rom tagenden „Hexensabbats“, der für die Legalisierung der Abtreibung demonstrierte: „Tremate, tremate, le streghe son tornate!“ („Zittert, zittert, die Hexen sind zurückgekehrt!“) Die römische Diana war allerdings ausgesprochen kinderfreundlich; sie wurde insbesondere von Schwangeren und Wöchnerinnen sehr verehrt.
Kaum zwei Jahrhunderte nach der letzten Hinrichtung einer Hexe kehrt der ganze Hexenspuk zurück. Anders als früher nehmen sich nicht Inquisition, Folterknechte und Scharfrichter der zauberkundigen Frauen an, sondern insbesondere Verleger und sensationsgeile Journalisten. Was einmal eine Tragödie war, wird nun vielfach als Fastnachtsposse oder Farce für Sommerfrischler inszeniert. Die entartete Religion einer untergegangenen Epoche wird zur makaber unterhaltsamen Komödie für die ihr folgende. Das Inferno hat sich überwiegend zu frivolem Kitzel und Humbug unverstandenen Brauchtums gewandelt. Aus den dantesken Mysterien der Hölle mit ihren Martern und Qualen wird nur zu oft prickelnder Mystizismus gelangweilter Großstädter, ein blasiertes Spielchen tändelnder und genäschiger Spätzeitrationalisten, die ihrer eigenen Aufgeklärtheit überdrüssig sind. In einem zynischen Sinn halten sie sich an das von dem frommen Matthias Claudius geprägte Wort: „Das Beste an der Religion sind ihre dunklen Punkte.“ Im Rahmen des Feminismus hat die Hexe zusätzlich eine gesellschafts- und geistespolitische Mission übernommen. Sogar aus dem nicht-esoterischen Bereich der Frauenbewegung stammende Broschüren und Protestsongs haben manchmal neckische Titel wie „Hexengeflüster“, „Die Hexen sind zurück“ oder „Hexenpresse“. Bereits 1975 fand der erste Weltkongreß für Hexerei in Bogota statt.
In manchen Buchhandlungen quellen die Regale bereits über, auf denen sich Bände mit folgenden Titeln finden: „Frauen, die hexen“, „Heilige und Hexer“, „Erotik und Hexenwahn“, „Die Hexenprozesse“, „Anna Göldin — letzte Hexe“, „Aradia: Die Lehre der Hexen“, „Im Bund mit dem Teufel“, „Hexenanwalt“ (über Friedrich von Spee, den Jesuiten und Gegner der Hexenverfolgung!), „Hexengeschichten“, „Hexenwoche“, „Hexenwahn“, „Die Hexe“, „Zur Genese und Aktualität des Hexenbildes“, „Der Flug des Siebten Mondes — Die Lehren der Medizinfrau“, „Göttinnen in jeder Frau“, „Liebeszauber und Schwarze Magie“, „Heiler und Hexer“, „Unter Hexern und Zauberern“, „Magier der Berge“, „Die Weisen Frauen“, „Frau Holle, die gestürzte Göttin“, „Der Hexenkult als Urreligion“, „Hexen und Hexenglauben“, „Die Hexe von Klewan“, „Witchcraft, Confessions and Accusations“, „Die Hexe von Endor“ und „Hexen. Auf den Spuren eines Phänomens“. Dies ist nur eine kleine Auswahl, hinzu kommen etliche Reprints ganzer Zauber- und Hexenbibliotheken und älterer historischer oder volkskundlicher Darstellungen zum Thema.
Der international anerkannte Forscher Johann Kruse hat 1978 Bibliothek und Archiv seines ausschließlich der Erforschung des Hexenwahns gewidmeten Privatinstituts dem Hamburger Museum für Völkerkunde gestiftet. In Freiburg im Breisgau wurde im Frühjahr 1986 eine Sonderausstellung über Hexenbrauchtum und Hexenverfolgungen gezeigt, und ebenso wurde dieser schaurige Gegenstand in der esoterischen Ausstellung „Wissende, Eingeweihte und Verschwiegene“ der Zentralbibliothek Zürich im Herbst desselben Jahres gebührend berücksichtigt.
Doch nicht nur auf dem Büchermarkt, in Museen sowie im Kino (seit Roman Polanskis Film „Rosemaries Baby“) tummeln sich neuerdings wieder heil-, wetter- und zauberkundige Frauen, denen Gutes wie Schlimmes nachgesagt wird. Mittlerweile gibt es auch zahllose mehr oder minder straff organisierte Orden, Bünde und Zünfte von Hexen und Hexenmeistern, satanistische Zirkel und Teufelskonvente, die teilweise „schwarze Messen“ und andere dämonische Kulte zelebrieren. Die uns aus der „Odyssee“ bekannte Zauberin Kirke, die vampirisch-lüsterne Lilith der rabbinischen Legende, die schwarze Erdmuttergöttin Kali der Hindus, das uns aus Goethes „Faust“ vertraute Walpurgisnachttreiben auf dem Blocksberg scheinen immer mehr Anhänger und Bewunderer zu finden. Der erste Vorläufer dieser „Incantatrix“-Bewegung stammt aus England. Dort blüht schon seit etwa fünfzig Jahren der sogenannte „Wicca-Kult“, dessen Anhänger sich selbstbewußt als „Hexen“ oder „Hexer“ bezeichnen. Sie empfinden den hexerischen Ruf nicht als Schimpf und Verleumdung, sondern als Ehrentitel. An ihrer Spitze steht eine gewählte „Hohepriesterin“, wie denn überhaupt die modernen Hexenschulen, auch unabhängig vom politischen Feminismus, einen stark „mutterrechtlichen“ oder „matriarchalischen“ Zug aufweisen. Hinzugefügt sei freilich, daß auch eine so diabolisch triste Figur wie Charles Manson den Namen eines Hexers beanspruchte.
Der Vormarsch der Hexen (oder des Glaubens an sie) schlägt sich bereits in demoskopisch faßbaren Trends nieder. Während 1956 nur acht Prozent der Bundesbürger die Existenz von Hexen für möglich hielten, waren es 1973 bereits elf Prozent, und diese Entwicklung ist unverändert im Steigen begriffen. Dies ist insofern erstaunlich, als neuere Versuche, die alten Hexenrituale auf dem Brocken im Harzgebirge wieder einzuführen, bislang kläglich gescheitert sind. Obwohl sich der bekannte Londoner „Geisterjäger“ Harry Price dazu bereit fand, an dem magischen Experiment teilzunehmen, gelang es nicht, einen Ziegenbock in einen hübschen Jüngling zu verwandeln. Der Bock blieb störrischerweise ein Bock, obwohl man einen echten altdeutschen Zaubertext auf dem berühmten Hexenplatz feierlich rezitierte. Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen der okkultistisch-magischen Szene verlautet dazu, das Fluidum der deutschen Erde sei seit bald hundert Jahren dermaßen beschädigt, daß sogar die Anstrengungen mehrerer Hexengroßmächte kaum etwas an diesem „Aura-Defizit“ zu ändern vermögen.
In noch weit höherem Maße, wie sich beinahe von selbst versteht, kehren die Hexen in jene Länder Schwarzafrikas zurück, die nun die fragwürdigen Segnungen einer abrupten „Entkolonisierung“ auszukosten haben. Professor Gordon Chavunduka, Ordinarius für Soziologie an der Universität Vulawayo (Simbabwe, Rhodesien) und Präsident der „Nationalversammlung der Heilkundigen“, erklärte 1981 öffentlich kurz und bündig: „Hexen gibt es, und deshalb sollten wir juristisch und soziologisch umdenken, damit wir uns wirksam mit den damit verbundenen rechtlichen und sozialen Problemen befassen können“. Es sei völlig unzulässig, einseitig denjenigen zu bestrafen, der einen an deren der Hexerei bezichtigt, während der Beschuldigte unbehelligt bleibe oder sogar Schadenersatz beanspruchen könne. Vielmehr müßten, so der schwarze Professor Chavunduka, im Interesse objektiver Wahrheitsfindung beide verhaftet und einem Gericht vorgeführt werden. Dieses sollte dann, unter Heranziehung von Soziologen, Psychologen, Wahrsagern und staatlich lizenzierten Magiern, in freier Urteilsfindung darüber entscheiden, ob Hexerei vorliege oder nicht.
In dem von der Republik Südafrika nominell für unabhängig erklärten schwarzen „Homeland“ Venda (im nördlichen Transvaal) wurde 1984 eine Negerin namens Madgadi Kekana von ihren Stammesgenossen zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Die Inyangas, die offiziell als Experten anerkannten „Hexendoktoren“ des Stammes, hatten sie „schwarzmagischer“ Kunstgriffe beschuldigt, durch die angeblich mehrere Dorfbewohner unter rätselhaften Umständen vom Blitz getötet worden waren. Wenige Wochen vorher waren in derselben Gegend sechs der Hexerei für überführt gehaltene Schwarze von andern Eingeborenen verbrannt worden.
Es versteht sich von selbst, daß diese mörderischen Akte „autochthoner“ Selbstverwirklichung im Zeichen tatkräftiger Rückkehr zu den Quellen „authentischer Negritude“ keinen einzigen Protest des humanitären „Weltgewissens“ ausgelöst haben. Auch die Kommission für Menschenrechte und andere Ausschüsse der UNO schwiegen dazu. Diese Hexenverbrennungen konnte man ja nicht gut den weißen „Rassisten“ in Pretoria ankreiden, ja man mußte sie recht eigentlich als emanzipatorisch-revolutionäre Unternehmungen zumindest klammheimlich begrüßen. Denn sie zeigten drastisch, daß die kollektive Abschüttelung des zivilisatorischen Jochs weißer Entfremdung enorme Fortschritte gemacht hatte…
Wer Augen hat, der sieht: In manchen Gebieten Schwarzafrikas ist Friedrich von Spees „Anti-Hexenhammer“ nach wie vor eine zeitgemäße Botschaft, sozusagen ein möglicher Beitrag zu humaner „Entwicklungshilfe“.
In Deutschland aber sei wenigstens Spees poetisches Hauptwerk, die „Trutz-Nachtigall“ (1649), nicht ganz vergessen. Es ist das überragendste Denkmal christlicher Hirtendichtung, in dem sich biblische, antike und mystische Überlieferung zu einem barocken Ganzen vereinen, das herzhaft katholischen Gepräges ist und dennoch kein Wort enthält, das eine fromme evangelische Seele verletzen könnte. Hier findet sich ein „Geistliches Lied auf alle Stunden des Tags gerichtet“.
Es beginnt mit den Worten:
Sooft du schlagen hörst die Stund,
So lobe Gott mit Herz und Mund!
(1986)