Hölderlin in Franken

Was hat Hölderlin in Schloss Waltershausen gemacht?

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Friedrich Hölderlin, deutscher Dichter, wurde bekanntlich in den Jahren 1800/1801 verrückt. Sechs Jahre zuvor lebte und wirkte er mehr als zwölf Monate lang auf Schloss Waltershausen im Milzgrund, einem Seitental der fränkischen Saale. Die Schlossherrin Charlotte von Kalb hatte den 24 Jahre jungen Hölderlin auf Empfehlung Schillers als Hauslehrer für ihren Sohn engagiert. Mehr als neun Monate lang war Frau von Kalb voll des Lobes für den neuen Haushofmeister. Plötzlich, Ende Oktober 1794, erschienen ganz neue Töne in ihrer Beurteilung Hölderlins: „Etwas überspannt, vielleicht auch seine Forderungen an das Kind“, „grenzenlose Empfindlichkeit“, „Verworrenheit des Verstands“. Da die Beschwerden zunahmen, verließ Hölderlin seine Stellung Mitte Januar 1795 mit einer großzügigen Abfindung.
Erfuhr Hölderlin in Waltershausen – wie einige Biographen meinen – den ersten schizophrenen Schub? Oder lag seiner Entlassung eine ganz andere „causa“ zugrunde, wie der Biograph Pierre Bertaux vermutet.
Für den schizophrenen Schub spricht, dass Hölderlin im stillen Waltershausen total gestresst war. Der auf seinen Ruf „engelgleicher Reinheit und Keuschheit“ bedachte Dichter versuchte ehrgeizig, aber vergeblich, seinen Schüler vom diffusen Laster der geschlechtlichen Selbstbefriedigung abzubringen. Selbst permanente Nachtwachen am Bett des Schülers blieben erfolglos, zermürbten aber den Lehrer.
 Bertaux vermutet jedoch, dass Hölderlin in Waltershausen außer zu lehren, zu dichten und über die Keuschheit seines Schützlings zu wachen noch etwas anderes gemacht hat, nämlich ein Kind. Da auch ein begnadeter Dichter ein Kind nicht in der Einsamkeit engelgleicher Keuschheit zeugen kann, fand Hölderlin die hierfür erforderliche zweite Person in der 22 Jahre jungen und hübschen Witwe Wilhelmine Kirms, der im Schloss lebenden Gesellschafterin der Frau von Kalb.
 Die Indizien sprechen für die Schwangerschaft von Frau Kirms. Zwei Tage vor Hölderlin verlässt sie ihre Stelle im Haushalt von Kalb und zieht nach Meiningen. Hölderlin erbittet von seiner Mutter eine große Summe Geld, so viel, wie er im ganzen Jahr in Waltershausen nicht verdient hat. Wozu brauchte er diesen Betrag, wenn nicht als „Abfindung“? In verschiedenen Briefen finden sich eindeutige Anspielungen auf das unaussprechliche Ereignis.
War die Verworrenheit Hölderlins nun der erste Schub der Schizophrenie oder nur der Stress wegen der unwillkommenen Vaterschaft? Nun ja, das eine schließt ja das andere nicht aus.
Übrigens: Hölderlin war damals schon ein etwas seltsamer Vogel. Bei einem Besuch Schillers im November 1794 ignorierte Hölderlin geradezu brüskierend einen anderen Herrn in der Gesellschaft Schillers. Zu spät erfuhr Hölderlin, was ihm entgangen war: die Bekanntschaft Goethes.

J.H.