Fluchtursachen bekämpfen?

Guinea und der schwarze Rassismus

Noch unbeachtet von der Weltöffentlichkeit scheint sich wieder in Guinea ein neues Flüchtlingsdebakel mit Auswirkungen auf Europa anzubahnen.
Wie komme ich gerade jetzt darauf?

Ein Freund, Afrikanist an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt, schilderte mir die wahrhaft prekären Geschehnisse, die einem seiner Kollegen aus Guinea widerfuhren. Der Mann, Angehöriger der Mehrheitsethnie in Guinea, der Ful (Fulba oder Peulh), berichtete, dass vor wenigen Wochen durch einen Einsatz des Militärs – angeordnet vom dortigen Minister für Stadt- und Raumplanung, Ibrahim Kourouma –  ein ganzes Stadtviertel in der Hauptstadt Conakry „plattgemacht“ wurde. Der Abrissaktion fiel denn auch sein eigenes Häuschen zum Opfer, das seine Familie vor 20 Jahren dort errichtet hatte. 2000 Menschen aus diesem Viertel sitzen jetzt buchstäblich auf der Straße.
Dazu fand ich dieses Video auf Youtube.

 

Hinter den in Conakry laufenden „Sanierungsaktionen“ stecke nach Ansicht unseres Informanten auch die „Fondation Orange“, ein französischer Telekommunikationskonzern.
Im „Firmenprofil“ von Orange France findet man Unverbindliches, das gleichwohl stutzig macht:

Seit 2005 beteiligen wir uns an philanthropischen Initiativen in Afrika, Europa, dem Nahen Osten und Asien in Ländern, in denen die Orange-Gruppe als Betreiber vertreten ist. Durch unsere lokalen Stiftungen agieren wir näher an den Menschen. Heute erweitern wir die Grenzen unserer digitalen Solidaritätsarbeit durch die Implementierung wichtiger Programme in den Bereichen Gesundheit und Behinderung, Bildung und Kultur.

In Guinea-Conakry wirke man – heißt es nur lapidar – an Maßnahmen zur Verbesserung der Bildung, Gesundheit und Kommunikation mit.

Ob „Orange France“ tatsächlich hinter den Aktionen der Regierung steckt, ließ sich bei den mir gegebenen Recherchemöglichkeiten nicht ermitteln.

Ich habe nun nachgeforscht, was dort tatsächlich vonstattengeht.

Zum Verständnis meiner Behauptung, dass die Befeuerung der Sache durch einen ethnischen Konflikt ausgelöst sein könnte, vorab einige Erläuterungen.
In Guinea gibt es drei größere ethnische Gruppen: Die größte Gruppe mit 40 % stellen die Fulbe (Felatta, französisch Peul), 26 % sind Malinke und 11 % sind Susu (oder Soussou).
Obwohl die Fulbe oder auch „Ful“ die Mehrheit stellen, wird die Regierung mit Staatspräsident Conde´und seinen Ministern von den Malinke gestellt. Die Fulbe haben sich mit dem Wahlergebnis der Präsidentenwahl nach einer Stichwahl nie abgefunden, sodass es zu ständigen Konflikten, Demonstrationen und Anschläge mit Gewalt von beiden Seiten kommt.
Über die ethnische Konfliktlage kann man sich hier informieren.
Die frühere französische Kolonie Guinea hat einen mörderischen Bürgerkrieg von 1990 und bewaffnete Konflikte mit seinen Anrainerstaaten bis 2000/2001 hinter sich. Nicht erst seit dem Putsch und der Militärdiktatur unter Lansana Conte´, einem Susu, der nach dem Tod des Diktators Sekhe Toure die Regierung übernahm, herrscht eine latente Bürgerkriegssituation. Die auch unter dem neuen Staatspräsidenten Alpha Conde´ fortbesteht.

Über die Entwicklung der Sicherheitslage und die Flüchtlingssituation in Guinea gibt dieser Bericht der „Flüchtlingshilfe Schweiz“ Auskunft.
So gibt es mehrere Flüchtlingslager, überwiegend im Südosten des Landes, in denen sich geschätzt 360 000 intern Vertriebene aufhalten.

Angeblich sind die Stadtteile, die jetzt von der Regierung plattgemacht werden, überwiegend von Fulbe oder Oppositionellen bewohnt.
Der Stadtteil „Kaporo Rails“ – aus dem unsere Quelle stammt – ist einer von bisher drei betroffenen in der Hauptstadt.
In einer offiziellen Begründung der Regierung heißt es, dass die tangierten Grundstücke „occupiertes Allgemeingut“ seien und dass jetzt durch Maßnahmen der Regierung diese wieder in die öffentlich Hand zurückgegeben werden; das erfordert den Abriss der dort „illegal“ errichteten privaten „Objekte“ (Wohnhäuser. Geschäfte und Garagen).
Die Erklärung des Ministers zu den Maßnahmen vom 28. Februar 2019 findet man hier.
Aus der holprigen Googleübersetzung kann man zusammenfassend Folgendes herauslesen:

Der Standort Koloman – einer der drei betroffenen Stadtbezirke, als „Directional Center“ bezeichnet – sei 1987 von der Ersten Republik für die „Erbringung von Verwaltungsdiensten“ ausgewiesen worden.
Durch „riesige Schilder und Markierungen“ habe der Staat auf das formale Verbot von privaten Baumaßnahmen hingewiesen.
Es seien dann aber „Bürger in das Gebiet eingedrungen“.
1997/98 habe man bereits 63% der illegal errichteten Gebäude entfernt und 169.8 Hektar „freigesetzt“.
„Nach dieser Räumung wurden Planungs-, Architektur- und technische Studien von einem kubanischen Kabinett namens „SYBONEY“ auf der Grundlage eines Vertrags durchgeführt, der am 7. Juni 1998 in Havanna unterzeichnet wurde.“
Die derzeitige Räumung betreffe diese 169,8 Hektar großen „Verwaltungsgebäude und Geschäftszentren“, die 1997 und 1998 schon vollständig geräumt worden waren und die „leider neuen illegalen Besetzungen unterliegen“. Darum werde die Räumung aus diesem Bereich „normal fortgesetzt“. Die anderen Lose, die nicht von der laufenden Operation betroffen seien, werden jedoch „Gegenstand späterer Verhandlungen“ sein.

„Der ausgelösten Operation sind mehrere Sensibilisierungssitzungen der Insassen vorausgegangen, gefolgt von Benachrichtigungen durch den Gerichtsvollzieher.“ Heißt es. Das Ministerium für Stadt- und Territorialplanung betont, dass man „auf den Geist der guten Bürgerschaft aller setzt“.

Soweit die amtliche Begründung durch den Minister für Stadt- und Raumplanung, Ibrahim Kourouma.
Der Staatspräsident hat angeblich aufgrund der aufkommenden Unruhen seinen Planungsminister schon im Februar zurückgepfiffen, wie man diesem Bericht entnehmen kann und der Minister hat sich wohl nicht daran gehalten, die Abrissmaßnahmen gehen unvermindert weiter, wie man hier und hier lesen kann.
In den betroffenen Vierteln haben viele Menschen bereits seit 40 Jahren gelebt. Geschätzt 4000 haben in Conakry durch diese Maßnahmen der Regierung ihr Heim verloren und sind im zweideutigen Sinn des Wortes „frei gesetzt“ worden.
Die Menschen trauen der Regierung nicht. Wie die auf Berichterstattung zu humanitären Themen spezialisierte Nachrichtenagentur Integrated Regional Information Network (IRIN) schon im Juni 2013 bemerkte, hätten Spannungen zwischen den beiden größten ethnischen Gruppen, den Malinké und Fula („Peulh“), seit der Wahl von Alpha Condé, einem Malinké, zum Präsidenten im Jahr 2010 stetig zugenommen. (Quelle ebenfallls hier). 

Die Ful waren einst ein Nomadenvolk, das erst nach Annahme des Islam überwiegend auch in Städten sesshaft wurde.
Sie selbst sehen sich heute als Nachfahren mekkanischer Araber, die den Propheten Mohammed begleiteten. Diese Sicht ist auf den Einfluss des Islam zurückzuführen und steht eigentlich im Widerspruch zum früheren polytheistischen Glauben der Fulbe. Sie sind heute fast ausschließlich sunnitische Muslime und so nimmt es nicht wunder, dass der arabische Sender Al Jazeera sich derer Probleme annimmt:

Laut Al Jazeera hätten BewohnerInnen von Gebieten, die mehrheitlich von Fula besiedelt seien, Regierungstruppen Plünderung, Vandalismus und willkürlichen Einsatz von Schusswaffen vorgeworfen. Einem gemeinsamen Bericht der französischen NGO Action des chrétiens pour l’abolition de la torture (ACAT) France sowie von vier guineischen Menschenrechtsorganisationen hätten Sicherheitskräfte Berichten zufolge bei der Unterdrückung von Protesten und öffentlichen Versammlungen politische Gegner und deren UnterstützerInnen strafweise gefoltert und misshandelt. Der oben genannte ICG-Rechercheur habe angegeben, dass die Fula seit dem Amtsantritt von Präsident Alpha Condé als die „entschlossensten Gegner“ des Präsidenten betrachtet würden und von den Sicherheitskräften mit größerer Härte behandelt würden. Von dieser Behandlung seien insbesondere Angehörige bestimmter Berufsgruppen betroffen, in denen Fula in größerer Zahl vertreten seien, darunter InhaberInnen von Geschäften und TaxifahrerInnen.

Laut einem Mitglied der guineischen Sektion der Organisation Anwälte ohne Grenzen (ASF) würden DemonstrantInnen der Opposition häufig als Fula betrachtet, und bei den meisten Personen, die Opfer von Ausschreitungen bei Protesten oder dabei festgenommen würden, handle es sich um ethnische Fula.

Laut der oben genannten Rechercheurin von HRW würden Polizei, die Gendarmerie und die Sicherheitskräfte wenig professionell arbeiten, sodass alle ethnischen Gruppen von den staatlichen Organen ausgebeutet und erpresst würden. Allerdings würden ethnische Fula in Zeiten von Protesten, Demonstrationen und politischen Spannungen keinen durchgängigen Schutz durch die Polizei erhalten, und es scheine, dass Mitglieder der Fula-Gemeinde nur wenig Vertrauen in den Willen der Regierung und der Sicherheitskräfte hätten, sie in gleichem Maße zu schützen. Die in Conakry lebenden Fula seien von den schlimmsten Misshandlungen betroffen. Laut Angaben der HRW-Rechercheurin gebe es weiterhin Hinweise auf mangelnde politische Neutralität bei den Sicherheitskräften, insbesondere was deren Umgang mit Gewalt in Zusammenhang mit Wahlen oder anderen politischen Themen betreffe. In zahlreichen Fällen hätten Mitglieder der Sicherheitskräfte Fula wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit beleidigt und Eigentum von Personen, die als Unterstützer der Opposition angesehen worden seien, geplündert bzw. gestohlen. Bei Demonstrationen würden Polizei und Gendarmerie in den Vierteln der Fula bzw. OppositionsanhängerInnen hart durchgreifen, während sie tatenlos zusehen würden, wenn Anhänger der Regierungspartei Straftaten (z.B. Plünderung) begehen würden oder sich zusammen mit diesen Parteianhängern an Straftaten beteiligen würden.
Laut einer Auskunft eines Mitarbeiters der guineischen Sektion der pan-afrikanischen Menschenrechtsorganisation Rencontre africaine pour la défense des droits de l’homme (RADDHO) komme es zwar zu „abweichenden“ Verhaltensweisen innerhalb der Gendarmerie, doch gebe es keine „spezielle Behandlung“ für bestimmte ethnische Gruppen, und Angehörigen der Fula werde kein besonderer Schutz angeboten. Allerdings sei es notwendig, die Fähigkeit des Staates zum Schutz der Bevölkerung zu erhöhen.

Wir nehmen das zur Kenntnis.
Bei der sonst so investigativen und aggressiv humanitären Menschenrechtsorganisation Amnesty International (Sektion Westafrika) findet man nur sehr Spärliches zum Thema.

Wie schon einleitend festgestellt spielt sich das Ganze offensichtlich unbemerkt von der hiesigen Öffentlichkeit ab. Unser Informant berichtete auch, dass persönliche Interventionen und Hilfegesuche in Genf bei den UN und dem Roten Kreuz, bei für Menschenrechtsfragen zuständigen Stellen der EU und im Kanzleramt ergebislos seien.
Ob der oben erwähnte französische „Multikonzern“ France Orange eine wesentliche Rolle dabei spielt, ist ungewiss, dazu konnte ich nichts ermitteln. Guinea zählt in Bezug auf Korruption zur absoluten Spitzengruppe weltweit.
Nicht der böse alte weiße Mann des Westens oder aus Europa, nicht die gerne geschmähten Hervorbringungen des Kolonialismus sind schuld an der desolaten Situation in Guinea, wie in weiten Teilen Afrikas. Ursache liefern die eigenen korrupten und rassistischen Regime oder Regierungen Afrikas. Und die Geschichte Guineas belegt, dass auch bei einer (vielleicht demokratischen) Übernahme der Macht durch eine der Oppositionsgruppen sich nichts an der Lage ändern würde. Wie es sich auch schon im Norden Afrikas im sog. „arabischen Frühling“ gezeigt hat.
Schwarzer Rassismus ist in Afrika eine Faktizität. Und er richtet sich nicht nur gegen Weiße wie einst in Zimbabwe oder aktuell in Südafrika, sondern „Neger“ kämpft gegen „Neger“. Und – wie kann es anders sein – spielt der Islam dabei auch wieder seine besondere Rolle.

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Merkel will Fluchtursachen bekämpfen, nicht etwa das eigene Land und ihr Volk vor Zuwanderung mit der Mitnahme solcher Konflikte schützen. Ist sie so blöd, dass wir ihr das abnehmen, im Verständnis ihres trotzigen „Wir schaffen das!“ Auch auf diesem Gebiet.
Diesen Schlenker muss ich dazu noch loswerden.

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