Meine Großmutter

Zum 15. Februar mal Persönliches

Man kann an jedem Tag des Jahres fraglos Absonderlichkeiten* feiern, man kann als Christ (oder auch als Muselman) eines Heiligen gedenken und Namenstage feiern**, oder man erinnert sich an eine einst nahestehende, wichtige Person in seinem Leben.

Am 15. Februar 1891, heute vor 130 Jahren, wurde meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, geboren. Auf den schönen Namen Anna ihrer Ur-Ur-Großmutter wurde auch meine jüngste Enkeltochter getauft – was mich unbedingt freute.
Meine Großmutter Anna, war eine Frau, die noch in eine Welt ohne Gleichberechtigung hinein geboren wurde. Deren Eltern durch Fleiß und Zielstrebigkeit zuvor erst dem „Häuslertum“ entkommen und „etabliert“ geworden waren.
Starke Frauen wie Anna hatten damals eine Macht – nicht allein nur im engsten Kreis ihrer Familie – welche sich manche „Emanze“ heutzutage für ihr Geschlecht erträumen könnte.
Diese subtile Macht einer starken Frau habe ich in meiner Kindheit erleben können und ihr natürlich einen Beitrag in meinen „Memoiren“ gewidmet:

Goldene Hochzeit 1963

Die Großmutter

Gegensätze ziehen sich an – das galt beispielhaft für meine Großeltern:
Der Großvater schlank und groß gewachsen – die Großmutter klein und relativ rundlich, er von heiterer Gelassenheit – sie eher immer irgendwie sauertöpfisch.
Die Kontrastierungen wären leicht fortzusetzen, würden aber meiner Großmutter nicht gerecht werden. Sie war eine willensstarke und durchsetzungskräftige Person und sie spielte eine wichtige Rolle im Stern – nicht nur als „oberste moralische Instanz“.
Wegen ihr wurde das Stern-Anwesen vorübergehend in einen kleinbäuerlichen Betrieb verwandelt.
Sie hatte von allen in der Familie die Vertreibung und den Verlust des Eigenen wohl am wenigsten verkraftet. Lange Zeit glaubte sie, dass sie und ihr Mann in die alte Heimat und auf das kleine Gehöft zurückkehren könnten. Je mehr sie erkennen musste, dass dies aussichtslos ist, umso verbitterter wurde sie – so hatte man den Eindruck.
Man kam ihr also insofern entgegen, dass sie auf dem Stern-Areal einen landwirtschaftlichen Kleinbetrieb aufbauen konnte, bzw. dass sie eine solche Illusion pflegen durfte. Haustiere waren für sie – wie auch für meine Mutter – sehr wichtig.
Bald nach der Ankunft im Stern wurde ein Hund angeschafft, genau von der Rasse und auf den gleichen Namen getauft wie eines der im Böhmerwald zurückgelassenen Tiere. Im Nebengebäude, wo Garage, Werkstatt und Waschküche untergebracht waren, wurde ein aufgelassener Stall für Hühner und ein Schwein wieder instandgesetzt und im Frühjahr wurde ein Dutzend Enten angeschafft, die bis zum Herbst gemästet werden sollten. Dann gab es den großen Garten für Gemüse und vor allem für Blumen.
Den Blumenschmuck für den Gasthof ließ sich die Großmutter die ganzen Jahre besonders angelegen sein. Alles, was je nach Jahreszeit für Blumenkästen und Vasen sich auftat, stammte aus ihrer Zucht: Schneeglöckchen, Tulpen und Narzissen im Frühjahr, dann Geranien, Nelken und Fuchsien, schließlich Astern und Dahlien im Herbst, dazu bunte Strohblumen für Gestecke im Winter.
Ihre „Menagerie“ wurde jedoch bald eingegrenzt. Nach zwei Schweine-Aufzuchten war Schluß, die Entenzucht – ohnehin nicht „artgerecht“ – wurde ebenfalls nach einer Saison eingestellt. Hühner gab es noch länger. Es gibt aber selten etwas ekligeres als Hühnerkacke, und da diese Tiere auch rücksichtslos sind, was die Inbesitznahme eines Terrains angeht, war auch damit bald Schluss.
Es gab etwas ganz Paradoxes im Charakter meiner Großmutter: so fürsorglich und liebevoll, wie sie das ganze Jahr mit ihrem Federvieh umging – „Wiewala, Wiewala, kommt´s meine Wiewala“ – so empfindungslos und grausam erschien sie mir, wenn es den Hühnern oder Enten an den Kragen ging. Nicht nur das selbst aufgezogene Vieh, auch die jedes Jahr vor Weihnachten angelieferten Gänse, gingen „durch ihre Hände“. Man konnte gar nicht so schnell gucken, wie von ihr einem „Wiewala“ oder einer Gans nach kurzer, scheinheilig anmutender Liebkosung „ratz-fatz“ der Kragen umgedreht wurde – leidenschaftslos. Ein Dutzend Gänse oder Enten rupfen, das dauerte dann bei ihr keinen Nachmittag. Die Enten- und Gänsefedern wurden natürlich weiter verwertet – ich selbst hatte lange Jahre ein Federbett mit von meiner Großmutter geschleißten Enten- und Gänsedaunen.
Die Großmutter war morgens die Erste, die sich im Haus zu schaffen machte. Ihr Tag begann schon um fünf oder sechs Uhr. Sie kümmerte sich als erstes darum, das Küchenfeuer in Gang zu bringen, kochte dann für meinen Vater – der zur selben Zeit seinen Arbeitstag begann – seinen Bohnenkaffee. Nur den von ihr bereiteten Kaffee schätzte er. Dann wurde für alle anderen der Muckefuck aufgesetzt. Anschließend kümmerte sie sich um ihr Getier und was sonst in ihrer Landwirtschaft anfiel.
Wenn man sie nicht bei der Arbeit sah, am Abend oder am Sonntag auch mal einige Stunden unter tags, las sie in der „biblischen Geschichte“, sprich in ihrem Gebetbuch oder betete einen Rosenkranz.
An der Welt draußen interessierte sie nur das, was der Pfarrer in der Sonntagsmesse sagte oder was im „Sudetendeutschen Heimatboten“ stand.
Als das Fernsehen in den Stern kam, war das für sie erst nur befremdlich und staunenswert. Erstmals sah man sie vor dem Kasten sitzen, als 1958 die Trauerfeierlichkeiten nach dem Tod von Pius XII. übertragen wurden, und das mitten in der „Arbeitszeit“ – aber mit einem Rosenkranz in der Hand. Freilich auch bei der Weihe von Johannes XXIII.
Später wurde an Ostern regelmäßig der Segen „Urbi et Orbi“ auch von ihr am Fernseher empfangen.
„Der Glaube“ war ihr am allerwichtigsten und sie achtete darauf, dass jeder seiner Christenpflicht nachkam und am Sonntag in die Kirche ging, auch zur Beichte, und dass die Fastengebote gehalten wurden. Am Freitag durfte es im Stern beim Stammessen kein Fleisch geben, er war – von den Stammgästen gern angenommen – der Tag für böhmische Mehlspeisen und Fischgerichte.
Wer am Sonntag nicht zur Kirche ging, war „ein Heid“.
Neben „Dingerich“ die schlimmste Beschimpfung, die sie zur Verfügung hatte.
Mein Vater war so ein „Heid“, weil er den Sonntag als einzigen Tag in der Woche zum Ausschlafen nutzte.
Später – nach der „Stern-Zeit“ – kam heraus, dass ich öfter der Sonntagsmesse fernblieb und erst den Handballern am Wiesweiher zusah und dann noch im Café Bär am Stammtisch gesichtet wurde. Da schleuderte sie mir ein erbostes „Was bist du für ein Heid!“ entgegen. Von da an stand ich im selben schlechten Ansehen wie mein Vater. Ich gab ihr aber hoffentlich zu ihren Lebzeiten keinen weiteren Anlass oder Verdacht dafür, dass sie wegen mir sonst irgendwie „Sünden fürchten“ müsste.

Wenn ich vielleicht in Bälde dorthin zurückkehre, wovon ich hergekommen bin, freute ich mich, ihr wieder zu begegnen; natürlich mit dem ihr gebührenden Respekt

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* besoders die Amerikaner tun sich da besonders hervor:

Happy Birthday George Washington – Presidents‘ Day in den USA
Annoy Squidward Day – Geh-Thaddäus-auf-die-Nerven-Tag in Bikini Bottom
Ehrentag der Singles – Singles Awareness Day in den USA
Tag der Gummidrops in den USA – National Gumdrop Day
Tag des Nilpferds – der National Hippo Day in Second Life
Tag des Regenwurms in Deutschland

** Alicja, Faustin, Georgia, Jovita, Jowita und Siegfried.

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Eine Antwort zu Meine Großmutter

  1. Elisa sagt:

    lieber altmod, danke für diese berührende miniatur, in der sie liebevoll ihre großmutter beschreiben. es hat mich an vieles in meiner kindheit erinnert. ja, diese frauen waren emanzipiert, willensstark in ihrem bereich, in welchen sie sich auch nicht hineinreden ließen.

    meine großmutter eva war köchin in einem herrschaftlichen (darauf legte sie wert!) haushalt und genauso hat sie das kommando später in ihrem handwerkerhaushalt geführt. es gäbe soviel von der zeit als sie „in stellung“ war zu erzählen … vom herrn baron mit dem ersten automobil in der stadt, von der frau baronin und den wohlerzogenen anhänglichen kindern, den lieblingsgerichten von alt und jung, den jährlichen sommerfrischen mit eigenem personal …

    an die sonntäglichen kirchgänge erinnere ich mich gut: die oma ging mit der nachbarin schon um halbacht in die frühmess‘, damit später das essen pünktlich auf dem tisch stand; ich mit dem opa und dem kriegsversehrten nachbarn um halbzehn ins feierliche hochamt, anschließend in die post zum stammtisch. wehe, wir waren nicht schlag halbeins zurück …

    um kinder und enkel wurde – so empfand ich es – nicht groß aufhebens gemacht, davon hatte jede/r genug und der arbeitstag war für männer wie frauen hart und lang.
    trotzdem hatten wir „junge“ eine schöne – wenn auch ärmliche – kindheit. mit reichtümern war in unserem dorf in der nachkriegszeit aber sowieso keiner gesegnet.

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