Rorate 

Rorate caeli desuper – Tauet Himmel den Gerechten…
Jes 45,2

Es ist ein Phänomen des Alterns: je größer der zeitliche Abstand, desto intensiver scheinen manche Erinnerungen aufzublitzen. Advent ist zudem die Zeit, in der man sich besonders gerne in Vergangenes entführen läßt. Und wenn es dann früher auch noch besser war, wie man meint. Da war es im Dezember schon Winter, mit Schnee, klirrend kalten Nächten: vorweihnachtliche Idylle sichtbar und fühlbar, nicht nur auf Postkarten, Fotos oder in stimmungsvoll gefärbten Filmen. 

Zur Vorweihnachtszeit gehörte in meiner Jugend die Rorate-Messe, jeden Werktag früh am Morgen.
Wie war es krachend kalt, wenn man sich um Viertel nach sechs auf den Weg zur Kirche machte. Und immer bahnte man sich seinen Weg – so die Erinnerung – durch frisch gefallenen Schnee.
Früher, in der Kindheit waren halt die Winter noch Winter, denn keiner wusste etwas von „globaler Erwärmung“ und Klimakatastrophen. An Dauerregen oder auch Trockenheit im Dezember erinnert man sich einfach nicht.
Wie sonst könnte man denn das Licht der Kerzen aufleuchtend spüren, das die Kälte und das Morgen-Dunkel in der Kirche auflöste. Dazu die Mariengebete und die schlichten, wunderschönen Adventslieder.
Die Kirche lag am Weg zur Schule und den weiteren  Weg dahin nahm man danach in einer besonderen Stimmung wahr. Jetzt nach der Messe wurde es mit jeder Minute, mit jedem Schritte heller und man ging gleichsam zum Licht hin.
Rorate gehörte spätestens ab dem Alter, als man sich auf seine Erstkommunion vorzubereiten hatte, zum Pflichtprogramm. Für die Einhaltung der Pflicht sorgte der Pfarrer in einer Allianz mit der Großmutter – „Zuckerbrot und Peitsche“.
Man bekam am 1. Dezember eine Anwesenheitskarte, zu der man für jeden Messbesuch ein Sternchen zum Einkleben erhielt. Je mehr Sternchen man vorweisen konnte, um so wertvoller fiel das Geschenk durch den Pfarrer am Heiligen Abend aus. Erst ab zehn Sternchen gab es überhaupt ein Geschenk: eine schöne Bildkarte, eine Kerze oder gar ein Buch. Ich war lange Zeit stolz, immer ein Buch erhalten zu haben. Bis zu vierten Klasse Gymnasium, Anfang der sechziger Jahre habe ich das durchgehalten. Dann war irgendwie Schluß.
War es morgens nicht mehr so kalt und finster, dass man sich nach weckendem und wärmendem Kerzenlicht sehnte?  Nach der Botschaft von „Maria durch ein Dornwald ging“, nach der Anrufung des Propheten Jesaias, „Rorate caeli desuper – Tauet Himmel den Gerechten“?
Die nörgelnde Großmutter hatte keinen Einfluss mehr auf den Heranwachsenden.

Ich wünsche mir heute mitunter – nicht nur zum Beginn des Tages – es wäre möglich, diese Stimmung wieder entstehen zu lassen: in dieser verwirrenden Zeit das Licht, den Morgenstern aufleuchten zu sehen.
Rorate-Messen frühmorgens sind „nicht mehr im Angebot“ meiner Kirchengemeinde, wenn dann mal samstags am Abend. Und dann fehlt – wie immer mehr auch am Sonntag – die „Gemeinde“.
Es ist nicht mehr, wie man es sich phantasiert: Durch Schnee stapfen bei klirrender Kälte, frühmorgens und dann Kerzenschein in der Kirche.
Ich will es trotzdem probieren, wo es möglich ist – auch ohne Schnee, Kälte – zu Zeiten des „Klimawandels“ und auch bei all der modernen Formlosigkeit der Zeremonien in der Kirche.

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 „Tauet Himmel den Gerechten“ – Wie wir es früher gesungen haben:

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2 Antworten zu Rorate 

  1. Ich kann mich an kalte, schneereiche Winter erinnern, allerdings meist erst ab Ende Dezember oder im Januar aber auch an verregnete, vermatschte Winter in denen das Schlittenfahren so gut wie unmöglich war.

    Die Morgenkälte kann der Frühaufsteher auch heute spüren. Er muss halt rausgehen.

    Die Schulmesse und das Engelamt gehörten auch zu meinem Volksschulalltag, ebenso wie die Maiandachten und am letzten Maientag die Lichterprozession in den nahen Kalvarienberg. Mit 12 Jahren war es aber vorbei, das Kirchgehen, das Beichten und alles was so dazu gehört. Bis heute habe ich es nicht wieder aufgenommen. Wenn ich mal in die Kirche ging, im Zuge des Vereinslebens im Schützenverein, kam mir das kalte Grausen, wenn ich dem Pfarrer so zuhörte oder es war ein Inder oder Pakistani der die Messe zelebrierte.
    Innerlich bin ich noch Christ (manche Theologen und Pfarrer würden das sicher anders sehen) aber mit der Kirche habe ich nicht mehr viel gemeinsam.

  2. Patricia sagt:

    Ja, auch ich kann mich an schneereiche, aber auch nasse und matschige Weihnachten erinnern. Ich kenne durchaus Gemeinden, die frühmorgens ein Rorate feiern, z. B. Heiligkreuz in Bayreuth (immerhin eine überwiegend evangelische Stadt), das gut besucht wird.
    Das Problem der vielen ausländischen Priester kenne ich auch gut. Und glauben Sie mir, die Bischöfe wissen es auch. Nur starrt man halt immer noch auf die Zahlen … Hauptsache, die Pfarreien werden besetzt – wie, das ist eine ganz andere Frage!

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